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Ramadan – Fasten in der Schule

Es ist für eine SchülerIn nicht zumutbar von 2 :00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr zu fasten, noch dazu um Mitternacht gegen 2:00 Uhr die Suhur-Mahlzeit einzunehmen, um dann aber um 4:00 Uhr fröhlich und munter das Frühgebet zu verrichten. Wenn man mit einem einfachen Menschenverstand im Sinne des Korans weiterdenkt, kann man leicht erkennen, dass der Koran unser Leiden nicht will, sondern Gottesgedenken mit Bewusstsein. Das ist auch der Grund, warum die Kranken, Reisenden, Kinder usw. nicht fasten müssen. Der Koran berücksichtigt die menschlichen Bedürfnisse nicht nur im Kontext der Offenbarung, sondern überall dort, wo der Koran gelesen wird.

Ramadan ist für Muslime ein besonderer Monat, in welchem nach der islamischen Lehre die Tore des Paradieses geöffnet werden und das Böse verhindert wird. Er ist auch der Monat, in dem der Koran geoffenbart wurde. Diese Nacht der Offenbarung, Lailat-ul Qadr, wird im Koran ganz besonders hervorgehoben, da in dieser Nacht die Engel auf die Erde kommen und bis zur Morgendämmerung verweilen bevor sie in die geistigen Sphären zurückkehren, um dem Ruf des Rufenden zu folgen.

In diesem Monat wird  besonders nahegelegt, dass Muslime ab einem bestimmten Alter und unter bestimmten Voraussetzungen fasten müssen. In Europa haben die meisten Muslime auch das Bedürfnis danach, den Ramadan im Fasten zu verbringen. In islamisch geprägten Ländern ist das Fasten ein besonderes Ereignis, ja ein Ausnahmezustand, weil sich die Gesellschaft in diesem Monat ganz darauf einstellt, sodass aus diesem Monat ein Monat des Feierns und der sozialen Solidarität wird. In den Großstädten wie Istanbul, Kairo, Medina, Mekka usw. zu fasten ist wirklich ein besonderes Erlebnis. Viele Menschen breiten auf öffentlichen Plätzen und in manchen Straßenzügen und sogar vor ihren Haustüren Speisen aus und laden vorbeigehende Menschen zum Essen ein. Ganze Gruppen von Menschen treffen sich allabendlich zum gemeinsamen Fastenbrechen an verschiedenen Orten in den Städten zu Hunderten und gestalten das Fastenbrechen zu einem freudigen Ereignis. Nach einem langen Tag des Entbehrens wird die ersehnte Speise wie ein Geschenk empfunden, das man auch gerne teilen möchte.

In Europa wird  das Fasten in den islamischen Gemeinden auch sehr geschätzt und Muslime halten sich auch mehrheitlich daran, sodass daraus eine besondere Gemeinschaftserfahrung entsteht. In den Wintermonaten fällt es  den Muslimen sehr leicht zu fasten, vor allem in den nördlicheren Breiten. Über Hunger klagt eigentlich niemand, mehr aber über den Durst, wenn die Tage sehr lang werden und möglicherweise anstrengend waren.

In diesem Jahr fällt der Fastenmonat in die Zeit der längsten Tage, dem Monat der Sommersonnenwende mit Sonnenhöchstständen und hinzu summiert sich noch die künstliche Zeitverschiebung um eine Stunde, sodass sich das Fastenbrechen  mit dem aufsteigenden Sonnenbogen bis fast in die Nacht hineinschiebt. Deshalb kann in manchen Städten die Dämmerung erst um 21:45 stattfinden, weiter nördlich noch später und von Breitengraden in skandinavischen Regionen ganz zu schweigen, da geht die Sonne zu Mittsommernacht um den 21. Juni gar nicht unter.

Die Nächte werden in Mitteleuropa schon um diese Zeit „Die weißen Nächte“ genannt, weil keine echte Dunkelheit wie im Winter mehr stattfindet. Deshalb findet der Sonnaufgang auch schon gegen 4 Uhr morgens statt. Ein bis zwei Stunden vor 4 Uhr morgens sollte eine Mahlzeit eingenommen werden, die als “Suhur” bezeichnet wird und jedem Moslem sehr empfohlen wird.  Im Juni zu fasten, der Zeit des Sonnenhöchststandes und der längsten Tage ist für viele Menschen, die arbeiten oder etwas lernen oder studieren müssen oder Pflichten nachkommen müssen, die sich an die gewöhnlichen traditionellen Arbeits-und Schulzeiten richten,  eine besondere Herausforderung. Nehmen wir ein konkretes Beispiel aus dem Zeitplan norddeutscher Küstenstädte wie z.B. Kiel oder Hamburg. Dort dürfen fastende Muslime von 2.00 Uhr Morgen bis 22.00 Uhr weder Speisen noch Trinken zu sich nehmen.

Wenn die Muslime unter diesen Umständen wirklich alles nach ihren theologischen Vorschriften beherzigen möchten, und dazu fühlen sie sich unbedingt verpflichtet, weil der Druck vor den Konsequenzen des Sündigens das Gewissen belastet, dann sollten sie ihr Nacht-und Tarawihgebet (ein besonderes Gebet) bis 24.00 Uhr abschließen und wieder ca. gegen 2.00 Uhr für das Nachtessen (Suhur) aufstehen, um dann wieder gegen ca. 4.00 Uhr ihr Frühgebet zu verrichten. In Wien ist die Situation etwas einfacher aber nicht viel anders. Es handelt sich dabei nur um wenige Minuten.

In den äquatornahen Breitengraden rund um den Geburtsort des Propheten Muhammed waren und sind solche Sonnenstände wie sie sich in den Sommern Mittel-und Nordeuropas gestalten nicht bekannt. Der Koran selbst geht auch auf Breitengrad-Verschiebungen überhaupt nicht ein und berücksichtigt nur die Verhältnisse in Mekka oder Medina, bzw. die kontextuellen Verhältnisse dieser geographischen Regionen.

Die Schwierigkeiten, die sich durch die Zeitverschiebung der besonderen Sonnenstands-Situationen der nördlichen Breiten ergeben, hat der Koran niemals als Gegenstand gehabt, aber umso mehr beschäftigt es die muslimischen Wissenschaftler, die sich die Frage stellen mussten, was denn zu tun sei, wenn die Sonne überhaupt auf- oder gar untergeht? Oder ob es noch gerecht sei, wenn Muslime in diesen Breiten beinahe 23 Stunden fasten müssen unter den Erfordernissen eines Alltags, der sich nicht nach dem Ramadan richtet?

Die Gelehrten  haben immer wieder versucht Konzepte zu entwickeln, wie man mit dieser Situation gottgefällig umgehen könne. Für den Fall, dass das Fasten in eine Zeit fällt, wo die Sonne nicht untergeht, sollten sich die Fastenden nach den Zeiten von Mekka oder nach der nächsten Stadt mit einigermaßen annehmbaren Sonnenständen richten.  Oder aber auch wie neuerdings das Al-Azhar-Fatwa-Institut bekannt gab, sollten z.B. Studenten nicht fasten, wenn sie Prüfungen schreiben müssen.

Mich beschäftigt jedoch sehr viel mehr, wie die muslimischen SchülerInnen mit dieser Situation umgehen können, wenn sie im Juni fasten und ihren Pflichten nachgehen möchten oder wegen des Gewissensdrucks gar müssen? Andererseits steht auch die Frage im Raum, wie die Mehrheitsgesellschaft damit umgehen kann, die diese Art des Fastens nicht kennt?

Den Koran ohne den Verstand zu lesen ist eine gefährliche Unternehmung, die sehr leicht zu einer fundamentalistischen Haltung führen kann. Wenn wir jedoch das Fasten im Kontext des Korans betrachten, geht es hier nicht darum, sich zu quälen oder gar eine Abnehm- und Entschlackungs-Diät zu machen, sondern sich mit Gottesbewusstsein geistig zu sensibilisieren und spirituell zu wachsen.

Der Koran sieht im Fasten eine gute Grundlage für die geistige Entwicklung des Menschen. Das Fasten darf jedoch unsere menschlichen Verhältnisse nicht überstrapazieren, so dass man die Pflichten des Alltags vernachlässigen könte und nur noch fastet und schläft und wieder auf das Fastenbrechen wartet. Auf diese Weise wird der Ramadan, wie das in vielen islamischen Ländern der Fall ist, nur ein Monat des Essens und Schlafens. Gott kennt die Grenzen des Menschen und weiß, wozu der Mensch in der Lage ist, aber Er weiß  auch, was er nicht kann. Der Koran kann der Natur des Menschen nicht widersprechen.

Ein interessantes Beispiel dafür ist die Surah 2:186 aus dem Koran:

 „Es ist euch erlaubt worden in den Nächten des Fastens euch euren Frauen zu nähern. Sie sind für euch und ihr seid für sie jeweils ein Gewand. Gott wusste, dass ihr eure Seelen hintergangen habt. Daraufhin hat er eure Bußen akzeptiert und euch verziehen. Jetzt nähert euch ihnen nun (euren Frauen) und wünscht euch von Gott, was er euch vorgeschrieben (als Gebot auferlegt) hat.“ (2:186)

Der Herabsendungsanlass für diese Ayah ist für die Muslime in der Gegenwart von Relevanz, weil man daraus den Sinn der Fastenpflicht entnehmen kann:

Al-Qasim ibn Muhammad berichtet: „Am Anfang der Fastenpflicht im Ramadan fasteten die Muslime vom Nachtgebet bis zum nächsten Nachtgebet. In der Nacht durften sie sich ihren Frauen nicht nähern, aßen und tranken  nicht. In einer solchen  Nacht aber verspürte Omar das Bedürfnis mit seiner Frau intim sein zu wollen. Seine Frau jedoch verweigerte sich ihm mit der Begründung, dass sie lieber schlafen möchte und zu müde sei.  Omar verstand dies jedoch als Ausrede und schlief mit ihr“.

„Einer der Sahaba,  Ibn Abu Anas fastete den ganzen Tag und schlief ohne sein Fasten  am Abend zu brechen ein. Wenn die Fastenden das Fastenbrechen verschlafen hatten, durften sie nach dem Aufwachen nicht mehr essen noch schlafen. Am nächsten Tag fastete Ibn Abu Anas weiter. Weil er aber am Abend zuvor sein Fastenbrechen verschlafen hatte, war er tagsüber fast dem Tode nahe,  so dass er sein Fasten brechen musste“.

Somit hatten Omar und Ibn Abu Anas Gewissensprobleme, weil sie sich bewusst waren, Gottes Gebote verletzt zu haben. Daraufhin kam die Ayah, dass Gott deren Reue angenommen und die Gebote der vorhandenen Normen des Islam mit einer neuen Ayah verändert habe. (al-Wahidi, A. ibn Ahmad (2008). Asbab al-Nuzul (M. Guezzou, Trans.). Amman: Royal Aal-Bayt Institute for Islamic Thought, S. 12.)

Weil die Menschen nun keine Offenbarung mehr erhalten, wäre es ratsam, wenn man im Sinne des Korans dergestalt weiterdenkt, dass das Fasten weder die Naturveranlagung der Menschen noch die gesellschaftlichen Verhältnisse überstrapazieren sollte.

Es ist für eine SchülerIn nicht zumutbar von 2 :00 Uhr Morgen bis 22.00 Uhr zu fasten, noch dazu um Mitternacht gegen 2:00 Uhr die Suhur-Mahlzeit einzunehmen, um dann aber 4:00 Uhr fröhlich und munter das Frühgebet zu verrichten. Wenn man mit einem einfachen Menschenverstand im Sinne des Korans weiterdenkt, kann man leicht erkennen, dass der Koran unser Leiden nicht will, sondern Gottesgedenken mit Bewusstsein. Das ist auch der Grund, warum die Kranken, Reisenden, Kinder usw. nicht fasten müssen. Der Koran berücksichtigt die menschlichen Bedürfnisse nicht nur im Kontext der Offenbarung, sondern überall dort, wo der Koran gelesen wird.

Wenn der Koran unsere kontextuellen Verhältnisse nicht berücksichtigt, dann sollten wir den Text im neuen Kontext weiterdenken, so dass der Koran als lebendiges Buch weiterlebt und nicht in seinem Wortlaut zu einem versteinerten Götzen wird.

In dieser Richtung denkt auch die neue Fatwa von Al Azhar, dass Studenten die Prüfung schreiben oder aber Höchstleistungssportler und Fußballer während der Meisterschaft nicht fasten müssen. Aber auch ohne diese Fatwa gibt der Koran uns die Orientierung, dass das Fasten uns von unseren Pflichten nicht abhalten soll. Wenn das der Fall ist, dann sollten die SchülerInnen wirklich nicht fasten, um weder sich noch ihre MitschülerInnen und LehrerInnen zu belasten. Es besteht die Möglichkeit solche Tage und Monate in einer günstigen Zeit nachzuholen.

Den LehrerInnen ist zu empfehlen, dass sie in solchen Situationen das Gespräch mit den ReligionslehrerInnen oder Familien suchen und sie über die Folgen für  SchülerInnen und Schule zu informieren. Dabei sollte man ganz gezielt Pauschalisierungen vermeiden. Das Institut für islamische Studien wäre auch bereit diesbezüglich die LehrerInnen und Schulen zu beraten.

Allen Muslimen, die Fasten oder nicht Fasten wünsche ich gesegnete Fastentage.

 

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