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Religionslehrerin Sule blickt zurück: Ramadan im Schulalltag

In diesem Beitrag möchte ich den Fokus auf meine Eindrücke über die vielfältigen Haltungen der SchülerInnen bzw. StudentInnen hinsichtlich des islamischen Fastenmonats setzen. Die islamische Fastenzeit, die nach dem Mondjahr berechnet wird und dem Sonnenjahr angepasst wird, rückt jährlich um ca. 11 Tage zurück, was auch bedeutet, dass die Fastenzeit lange Zeit den Schulalltag nicht verlassen wird. Ihre Aktualität wird sie deshalb bewahren, da auch besonders heuer und auch in den nächsten Jahren aufgrund der Sommerzeit das Fasten sehr spät abends gebrochen wird. Vom Schulamt der Islamischen Glaubensgemeinschaft wurde ein Infoblatt über die Fastenzeit an die Schulen ausgeschickt. Als hilfreich für die Lehrenden im Schulalltag lassen sich die häufig gestellten Fragen mit Antwortoptionen beantworten. Denn Lehrkräfte werden mit dieser Thematik aufgrund der starken Präsenz der muslimischen SchülerInnen konfrontiert und brauchen eine Orientierung, in der sich auch eine Kooperation mit den islamischen ReligionslehrerInnen als eine Notwendigkeit herauskristallisiert.

Ich betreue muslimische SchülerInnen ab der fünften Schulstufe bis zu Erwachsenengruppen in Berufsbildenden Höheren Schulen. Eine Schülerin aus der fünften Klasse Schulstufe fragte mich in der Pause, ob es eine Sünde sein könnte, zu fasten, obwohl man körperlich zu schwach ist. Ich fragte sie, was sie damit meinte. Sie erzählte, dass ihr Mitschüler fastet, obwohl er sehr dünn, körperlich schwach ist und es ihm dabei schlecht geht. Ich sagte ihr, dass er lieber nicht fasten sollte. Sie war über meinen Ratschlag sehr glücklich und rief diesen Mitschüler mit  zu sich und begann ihm auffordernd Ratschläge zu erteilen, dass er nicht fasten dürfe. Sie argumentierte damit, dass sie bei mir nachgefragt hat und, dass es eine Sünde wäre, auf seine Gesundheit nicht zu achten. Ihr Mitschüler hörte ihr zu und versuchte sie zu überzeugen, dass es ihm auch wirklich gut geht.

Ich erlebte sehr oft ähnliche Gesprächssituationen unter den SchülerInnen. Schön dabei zu sehen war, dass nicht fastende SchülerInnen auf die fastenden Schulfreunde Rücksicht nahmen. Ebenfalls hörte ich, wie sich SchülerInnen gegenseitig ermahnen, nicht aber schimpfen, da zum Fasten auch das Verbot des Schimpfens gehört. Sehr erfreulich war meinerseits in den Klassen zu beobachten, dass einige SchülerInnen auf ihre Jause vor den fastenden SchülerInnen verzichten wollten. Auch umgekehrt erlebte ich, die Aufforderung der fastenden SchülerInnen vor ihnen essen zu können, da sie überhaupt kein Hungergefühl hatten.

Auch im Lehrerzimmer waren die Gesprächssituationen über das Fasten nicht anders. Eine Kollegin erzählte von einem Schüler, der eine mündliche Jahresprüfung hatte und ihm während der Prüfung sehr übel geworden ist und er sein Fasten trotzdem nicht abbrechen wollte. Obwohl ich schon vor dem Beginn der Fastenzeit mit meinen SchülerInnen ausführlich besprochen habe, bei Prüfungssituationen, Ausflügen mit körperlicher Anstrengung nicht zu fasten, bemerkte ich , dass  bei einigen SchülerInnen die Entschlossenheit durchgehend zu fasten, aufrechtgeblieben ist, was einerseits lobenswert und andererseits beispielsweise für diesen Schüler aufgrund seiner Erkrankung während der Prüfung meines Erachtens sehr schade ist.

Meine Sorgenkinder waren meistens meine jüngeren SchülerInnen besonders aus den Unterstufenklassen. Ich bat diese besonders beim Sportfest nicht zu fasten, da einige fastende SchülerInnen auch beim Fußball-Match mitspielten. Ich versuchte sie mit dem Argument zu überzeugen, dass sie als Mitspielende eine große Verantwortung für ihre Mannschaft haben werden und fit sein müssen. Die Reaktion der fastenden SchülerInnen auf meine Bitte nicht zu fasten, kam bei einigen logisch an. Einige reagierten mit einer Gegenfrage, ob sie – falls sie an bestimmten Tagen auf das Fasten verzichten – nicht für jeden Tag sechzig Tage nachfasten müssen. Diese wiederholte Fragestellung von SchülerInnen aus unterschiedlichen Unterrichtseinheiten war für mich ein Hinweis, dass das Fasten vom Elternhaus als unverzichtbarer Glaubenspraxis erlernt wurde und ihnen damit argumentiert wurde, wenn sie einen Tag das Fasten unterlassen sechzig Tage den versäumten Tag nachholen müssen.

Weitere SchülerInnen zeigten auf meine Empfehlung wenig Interesse. Beispielsweise sagte ein Schüler aus der fünften Schulstufe, dass er in den Sommerferien seinen Cousins sehr stolz erzählen werde im ganzen Fastenmonat trotz anstrengender Tage gefastet zu haben. 

Mein weiteres Sorgenkind war ein Schüler aus der sechsten Schulstufe. Von ihm wusste ich, dass er binnen einer Woche eine Operation haben wird und, dass er trotzdem fastet. Ich kontaktierte einen Familienangehörigen und fragte, ob es wirklich eine gute Idee sei, dass er bis zur Operation fastet. Dieser erzählte mir von seiner hartnäckigen Haltung, unbedingt fasten zu wollen. Er faste deshalb, da in der Familie jeder fastet und er sich vermutlich als schwach sehen würde, wenn er auf das Fasten verzichten würde. Leider gelang es auch den Familienangehörigen nicht, ihn zu überreden.

Einige SchülerInnen erzählten auch mit großer Freude, dass sie bis zum Nachmittag bzw. bis zu den Turnstunden fasten werden. Auch in diesen Gesprächssituationen war es für mich überraschend und erfreulich zu sehen, dass auch eine individuelle Auslegung (abweichend vom traditionellen Kanon richtiger Religionsausübung) also Verzicht auf das Essen und Trinken bis Mittag als Fasten interpretiert und geschätzt wurde. Von dieser Haltung konnte ich entnehmen, dass diese SchülerInnen auf ihre Gesundheit achten wollen, ohne dabei zur Gänze auf diese Glaubenspraxis zu verzichten.

Die Haltungen meiner SchülerInnen zum Fasten sind also unterschiedlich. Einige fasten konsequent und kennen keine Hindernisse und Grenzen, einige nur an Wochenenden, einige bis zu den Turnstunden.

Das Fasten gehört nicht nur zur sunnitischen Glaubenspraxis. In einer Unterrichtseinheit zu dem Sinn des Fastens erzählte mein alevitischer Schüler, dass er und seine Eltern nicht jetzt sondern in einem anderen Monat fasten. Er verbindete den Sinn des Fastens damit, dass die zwölf Imame auch gefastet und während der Fastenzeit am Boden geschlafen haben und auch seine Eltern, wenn sie fasten, am Boden schlafen. Er wollte durch seine Erzählungen zum Ausdruck bringen, dass zum Fasten auch ein asketisches Leben dazugehört. Auch diese Rückmeldung war für mich ein Hinweis, dass auch mein alevitischer Schüler sich durch die Thematik angesprochen fühlt und seine Erfahrungen sehr stolz zur Stunde mitnimmt und die Unterschiedlichkeit thematisiert.

Auch ein gemeinsames Fastenbrechen mit einer Erwachsenengruppe möchte ich kurz ausführen, um die Vielfalt der Haltungen bei meinen SchülerInnen zu ergänzen. Mit einer Erwachsenengruppe trafen wir uns außerhalb der Schule in einem Lokal um gemeinsam das Fasten zu brechen.

Nachdem der Zeitpunkt des Fastenbrechens gekommen war, wünschten sich alle gegenseitig alles Gute zum Fasten und wir fingen langsam an zu essen. Eine Studentin bemerkte, dass ihr Sitznachbar nicht isst und machte uns alle aufmerksam. Diese antwortete, dass ihre Zeit zum Fastenbrechen noch nicht gekommen ist und, dass sie noch zwanzig Minuten warten muss. Sie bat uns nicht auf ihren Zeitpunkt des Fastenbrechens zu warten. Es stellte sich heraus, dass schiitische Muslime nicht nur bis zum Sonnenuntergang fasten, sondern warten, bis es zur Gänze dunkel wird. Wir alle entschuldigten uns bei ihr und warteten bis ihre Zeit zum Fastenbrechen gekommen war. Auch eine christliche Studentin beteiligte sich das ganze Jahr freiwillig am islamischen Religionsunterricht. Auch ihre Erfahrung mit der Fastenzeit aus der christlichen Tradition war für uns alle sehr spannend. Sie erzählte, dass sie früher Fleisch bevorzugte und daher zu ihrer Fastenzeit auf das Fleisch drei Monate lang verzichtete. Nach der Fastenzeit bemerkte sie, dass sie nicht mehr Fleischliebhaberin ist und jetzt durch die Fastenzeit Vegetarierin geworden ist. Aufgrund ihrer Ernährungsumstellung muss sie zu ihrer Fastenzeit auf etwas anderes verzichten, was sie immer noch gern hat, damit sie fasten kann. Eine harmonievolle Rückmeldung in der Gruppe, dass sie immer noch fastet, blieb nicht erspart, da sie ja immer noch Vegetarierin ist, in der diese Studentin mitlachte und auch zustimmte.

Meine Beobachtungen zeigen, dass das Fasten einen transkonfessionellen, interreligiösen und verbindenden Charakter im Schulalltag hat, egal wie unterschiedlich die Haltungen der SchülerInnen bzw. StudentInnen zum Fasten ist.

 

 

 

 

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