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Köpfe und Tücher

Pünktlich zum Weltfrauentag ist eine neue Runde zum Thema „Kopftuch muslimischer Frauen“ entflammt. Sie zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist, in so einer aufgeheizten Situation, die man zurzeit in Österreich erlebt, eine sachliche Debatte zu führen.

Beratungsrat der IGGÖ erklärt das Kopftuch zur Pflicht (fard)

Am Anfang war das Wort. Das Wort war „Kopftuchgebot“ und stand als Titel einer Stellungnahme des sogenannten Beratungsrates der IGGÖ. Was um Himmels Willen hat die Islamische Glaubensgemeinschaft dazu veranlasst, in dieser ohnehin aufgeheizten Stimmung und Debattenlage, die unsachlicher nicht sein könnte, noch zusätzlich eigenhändig Holz ins Feuer zu werfen? Einfach unerklärlich. In der von Populisten in jeglicher Art missbrauchten Diskussion über den Islam, soll der Präsident der IGGÖ, Ibrahim Olgun, laut Medien erklärt haben, dass es im Text darum gegangen ist, “rund um die Debatte zu Burka und Kopftuch religiöse Quellen aufzuzeigen“.

Der provokative Titel „Kopftuchgebot“ wurde nach massiver medialer Kritik in den etwas unbeholfenen Titel „Stellung der Verhüllung im Islam“ unbenannt, deren Inhalte aber blieben unverändert. Und um diese Inhalte geht es hier. Um Inhalte, die immer noch von Männern diktiert werden, und die sich das Recht herausnehmen, über Frauenkleidung zu entscheiden. Von Männern, die es angebracht finden, Musliminnen zu Sünderinnen zu erklären, weil sie aus welchem Grund auch immer, kein Kopftuch tragen. Diese Männer stellen das Kopftuch als islamische Pflicht (fard) mit den Grundsäulen des Islams, dem Beten, dem Almosengeben, dem Fasten, etc. gleich.

„Für Muslime beider Geschlechter bestehen religiöse Kleidungsgebote. Für weibliche Muslime ab der Pubertät ist in der Öffentlichkeit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgelehrten Füßen, ein religiöses Gebot (fard) und damit Teil der Glaubenspraxis“. (1. Absatz der IGGÖ-Stellungnahme)

Den muslimischen Frauen ohne Kopftuch, die mitten in Europa ihren Männern ausgeliefert sind, erweist diese Fatwa einen Bärendienst: Ihr Status als Sünderinnen ist ab jetzt offiziell!

Männer, die irgendwo zwischen dem 9. und 19. Jahrhundert hängengeblieben sind

Diese knallharte Stilisierung des Kopftuchs zum Gebot, zur „Fard“ (Pflicht) und somit zum unbedingten Befehl Gottes hat nicht nur bei Boulevardjournalisten für Erstaunen gesorgt, sondern auch für abertausende Musliminnen hierzulande Grund für Besorgnis gegeben, die kein Kopftuch tragen. Und dennoch, gehören auch sie dieser Religion an und sind womöglich in ihrer Religionspraxis viel ehrlicher und gottergebener als so mancher Gebote verteilender Mann, der in seiner Entwicklung irgendwo zwischen dem 9. und 19. Jahrhundert hängen geblieben ist. Tausende und Abertausende Frauen wurden mit der Fatwa des Beratungsrates der IGGÖ automatisch zu Sünderinnen erklärt. Diese müsse nun als logische Schlussfolgerung „berichtigt“ werden, weil die Quellen in der Stellungnahme ohne jeglichen Bezug zur heutigen Zeit und ohne Berücksichtigung der besonderen Lage europäischen MuslimInnen einfach so aufgezählt wurden. Dass die in der islamischen Exegese so wichtigen Punkte, wie die Einbeziehung des Kontexts oder des Prinzips der Abwägung von Nutzen und Schaden, einfach ignoriert wurden, sei dahin gestellt.

Ein Machtinstrument für Männer mit verheerenden Folgen für die Frauen

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Maynat Kurbanova wurde 1974 in Tschetschenien geboren. Sie studierte Journalismus und Philologie. Als Kriegsberichterstatterin schrieb sie jahrelang über den Krieg und die Menschenrechtslage in Tschetschenien, u.a. auch für FAZ, SZ, France Presse. Sie arbeitet derzeit als freie Journalistin und Autorin.

Während über die Vorschriften für Männer in der Stellungnahme kein Wort mehr zu finden ist, wird weiter ausführlich über Frauenkleidung berichtet. Etwa über die Gesichtsverschleierung. Doch ist das Kopftuch für viele Frauen ein Teil der spirituellen oder religiösen Praxis, für andere wiederum ein gewöhnliches Stück Kleidung, was weder politisch noch religiös behaftet ist und einfach nur so zur Mode gehört. Aber für viele ist dieses Stück Stoff hierzulande ein verhasstes Symbol der eigenen Macht- und Rechtlosigkeit, ein Hindernis für Selbstbestimmung. Faktisch ist es für diejenigen, die weder von der IGGÖ, noch von selbsternannten Feministinnen und noch weniger von den – sich am liebsten über Unsittsamkeit der Frauen lästernden – Imame vertreten fühlen, schlicht und einfach ein Instrument, mit deren Hilfe die Männer ihre Machtfantasien ausüben.

Noch problematischer und gefährlicher ist, dass die Fatwa gerade diejenigen Männer unterstützt, die ihre Ehefrauen, Töchter, Schwestern und Mütter dazu zwingen, sich zu bedecken. Solche Typen werden sich wohl kaum von der schwachen Anmerkung am Ende der Fatwa überzeugen lassen, „dass Frauen und Männer, die sich nicht an die religiösen Kleidungsgebote halten, keinesfalls von anderen abgewertet werden dürfen“. Im Gegenteil – sie werden sich durch diese Stellungnahme in ihren unrechten Handlungen bestätigt fühlen. Und von denen gibt es hierzulande genügend. Nicht selten beginnen Männer, die ihre muslimische Identität erst hier im Westen entdeckt haben, mit der „Imanisierung“ nicht bei ihnen selbst, wie man es erwarten würde. Nein, ihre ersten Opfer sind die Frauen aus der eigenen Umgebung. Viele Frauen, die in ihren Heimatländern nie einen Hidschab getragen haben, werden hier in Österreich gezwungen es zu tragen, etwa von Männern, die sich wiederum von der jeweiligen Community oder der islamischen Gemeinde unter Druck gesetzt fühlen. Oft liegt der einzige Grund, dass Frauen das Kopftuch tragen MÜSSEN, darin, dass es hier „alle tragen“. In diesem Sinne wird die Fatwa der IGGÖ leider dazu beitragen, dass solche Männer sich weiter bestätigt fühlen.

Das Kopftuch in Relation zu so vielen wichtigeren Themen!

In der ersten Arbeit des Beratungsrates, also im Erlass der Fatwa, ist eine traurige Symbolik der Prioritäten von islamischen Gelehrten zu erkennen. So dürfte das Motto des Beratungsrats der IGGÖ lauten: „Die erste Frage, mit der wir uns beschäftigen, wird die Frage der Frauenkleidung sein, denn sie ist die wichtigste aller muslimischen Fragen“. Selbst, wenn es laut konservativsten Gelehrten im Diesseits keinerlei Strafe nach islamischem Recht für‘s Nichttragen des Kopftuchs gibt, und selbst wenn all die furchterregenden Drohungen an jene Frauen, die keines tragen, nur das Jenseits betreffen. Doch auch das wird im Text der Fatwa nicht erwähnt. Stattdessen wird angemerkt, dass „Frauen und Männer, die sich nicht an die religiösen Kleidungsgebote halten, keinesfalls von anderen abgewertet werden dürfen“.

Die Bedeckung der Frauen im Koran wird insgesamt nur dreimal an drei verschiedenen Stellen erwähnt, wobei auch dort das Tragen der Kopfbedeckung nicht explizit vorgeschrieben wird. Hingegen werden so wichtige Themen, wie respektvoller Umgang mit Andersgläubigen, friedliches Zusammenleben, Barmherzigkeit und Ehrlichkeit, viel öfter und ausführlicher im Koran thematisiert. Alleine das Wort „Wissen“ mitsamt seinen verwandten Begriffen, die Wichtigkeit des Lernens, des sich Bildens und des Strebens nach Wissen, kommen im Koran mehr als 800-mal vor. Also fast 300-mal wichtiger als die Kopfbedeckung der Frau scheint es Gott zu sein, dass MuslimInnen sich bilden und Wissen erlangen. Warum aber der Beratungsrat der IGGÖ nie eine Fatwa diesbezüglich erlassen hat, ist schwer zu erklären.

Wünschenswert wäre es, dass die Organisation, die den Anspruch hat, alle in Österreich lebenden MuslimInnen zu vertreten, sich wenigstens ab und zu Gedanken über die Frauen und Mädchen macht, die dank solcher Fatwas ihrer Rechte beraubt werden. Auch, dass Lehrerinnen ohne Kopftuch das Unterrichten der islamischen Religion an öffentlichen Schulen erlaubt wird, wäre ein gutes Signal der IGGÖ. Vor allem wäre es ein Signal an die Kinder, die es dann schneller verinnerlichen würden, dass der Islam facettenreich ist und Muslimsein nicht auf Bart- und Kopftuchtragen beschränkt ist. So eine Message bezüglich „Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen“ oder „Kompetenz im Umgang mit Vielfalt in der eigenen Gruppe als Schlüssel zu einer generellen Bejahung von Vielfalt“ würde viel besser bei den SchülerInnen ankommen.

Zwischen Beratungsrat und Islamophoben

Zuletzt sei gesagt, einen unpassenderen Zeitpunkt für den Erlass einer derartigen Stellungnahme hätte der Beratungsrat nicht finden können. Solch eine Fatwa zu einem Zeitpunkt zu erlassen, in der die öffentlichen Debattenlage vom populistischen Diskurs dominiert und von zunehmender Islamophobie und Diskriminierung der hier lebenden MuslimInnen geprägt ist, vor allem in Bezug auf die Frauen (!) und dem Aufruf zum völligen Kopftuchverbot, ist vollkommen daneben. Sich darüber nicht bewusst zu sein, dass dies als „gefundenes Fressen“ von Medien aufgegriffen wird, ist entweder unprofessionell oder arrogant. Oder beides.

Ein anderer Punkt ist, dass die Teilnahme an dieser Diskussion für jeden Muslim und für jede Muslima, die den Beschluss des Beratungsrates der IGGÖ als längst überholt sieht und sich ihm gegenüber kritisch äußert, mit der Gefahr verbunden ist, dass ihre Stimme von Populisten  und Islamophoben instrumentalisiert wird. Und das kann nun wirklich keiner wollen. So ist es nicht einfach, eine sachliche innermuslimische Debatte zu führen in einer Situation, wo einerseits die Gelehrten mit solch kompromisslosen Fatwas um sich werfen, und anderseits Rechtspopulisten und Islamhasser auf jedes kritische Wort lauern, um es dann für ihren perfiden Interpretationen zu missbrauchen.

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