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Selbstbild der muslimischen Frau – Teil 2

Auf der einen Seite wird Pluralität gelehrt, und auf der anderen Seite werden Musliminnen für ihre religiöse Identität bestraft.

Muslimische Frauen, vor allem jene, die sichtbar durch das Kopftuch erkannt werden können, erleben tagtäglich unliebsame Gesten, die sie am Allerliebsten nicht erleben würden. Von abwertenden Blicken, bis hin zu provokativen Fragen, die darauf abzielen sie in ein hässliches Spiel einzuladen, welches sie eigentlich nicht spielen möchten, ist alles drin.

Immerzu höre ich davon, dass man die muslimische Frau von einer Unterdrückung befreien möchte, welcher sie sich anscheinend gar nicht bewusst ist. Und dennoch spürt sie von vielen Seiten eine Unterdrückung – nämlich nicht so sein zu dürfen, wie sie es will. Befreien möchte man sie dahingehend, dass sie freiwillig einen Teil ihrer religiösen Identität aufgibt, in dem sie das Kopftuch abnimmt.

Man erklärt ihr fremdbestimmend, Jahr ein Jahr aus, wie schön das Leben wäre, wenn man ein Stück Stoff aus dem Leben verbannen würde. Man erzählt ihr, dass sie zu ihrer Heimat nicht dazugehört, weil sie sich anders kleidet, weil sie anders denkt, weil sie anders ist.

Ich kann mich erinnern, dass ich in meiner ersten Schule das Projekt ‚Pilgrim’ mit einer katholischen Religionslehrerin führen durfte. Mit den Kindern haben wir folgenden Liedtext gesungen:

Ich bin anders als du bist anders als er ist anders als sie! (Ja) Sie ist anders als er ist anders als du bist anders als ich! (Ja)

Wir, wir, wir sind anders als ihr, ihr, ihr seid anders als wir. Na und? Das macht das Leben eben bunt!“

Soweit so gut, aber: Vor der Aufführung wurde ein muslimisches Mädchen gebeten, das Kopftuch abzunehmen, da wir in der Schule bald ‚Gäste’ erwarten würden und sie mit dem Kopftuch nur auffallen würde.

Manchmal frage ich mich, wozu singen wir mit Kindern und Jugendlichen Inhalte an die wir gar nicht glauben?! Wozu das alles? Wenn wir die Religion infrage stellen dürfen und sollen, dann aber auch bitte den gesellschaftlich „freien Menschen“. Ist er wirklich so frei wie er denkt, oder trägt er nicht viele ungelöste Konflikte mit sich, die man am allerbesten der erstbesten Muslimin um den Hals hängt, um von seiner eigenen Unfreiheit abzulenken?!

Mit mir als Menschen macht es etwas, wenn ich widersprüchliche Aussagen erlebe: zwar ist es in Ordnung, dass ich anders bin, aber, wenn ich es tatsächlich wage anders zu sein, werde ich dafür bestraft. Diese Art der Bestrafung tut weh. Diese Bestrafung ist Gewalt.

Alles ist eine Frage der Wahrnehmung und was wir als Menschen tatsächlich sehen wollen und auch sehen können. Vielleicht liegt es in unserer menschlichen Natur, dass wir bestimmte Dinge absichtlich nicht sehen wollen, da wir uns somit nicht an uns selbst erinnern müssen. Gewalt ist ein Thema, dass keinen von uns unberührt lässt. Den einen verängstigt sie, den anderen widerstrebt sie, andere wiederum macht es noch aggressiver. Wenn wir die Gewalt und den Menschen getrennt voneinander betrachten, so werden wir darauf kommen, dass die Art und Weise, wie wir Gewalt sehen und mit ihr umgehen, immer etwas mit uns selbst zu tun hat.

In den Medien wird Gewalt immer als etwas Monströses gezeigt, wobei wir im alltäglichen Leben gar nicht wahrnehmen (können und/oder wollen), wieviel subtilen Gewaltformen wir tagtäglich in unserem Alltagsleben ausgesetzt sind und was das mit unserem Geist macht: von emotionaler Erpressung, Diskriminierung, Mobbing, sexueller Belästigung bis hin zum sozialen Zwang. Da diese Form der subtilen Gewalt eine schwer durchschaubare und hochdifferenzierte ist, die einen wachen und kritischen Geist erfordert, wird sie nicht gesehen. Und vor allen Dingen wird sie nicht von denjenigen gesehen, die vermeintlich nicht davon betroffen sind.

Daher rührt auch meine These, dass jedwede noch so subtile Gewalt, die wir nicht als solche wahrnehmen und verarbeiten, sich in immer wiederkehrenden zeitlichen Abständen nach außen viel vehementer und radikaler zeigt.

Dass sich Musliminnen jetzt zu Wort melden, ist ein wichtiges Zeichen an die gesamte Gesellschaft. Ganz gleich, ob es jemanden gefällt oder nicht. Viel zu lange wurde über sie von religiöser, aber auch von gesellschaftlicher Seite fremdbestimmend gesprochen. Viel zu lange wurde die Muslimin aufgrund ihres Geschlechtes und ihrer religiösen Identität als minderwertiges Wesen gesehen.

Im Leben geht es darum, bewusste Entscheidungen zu treffen, unabhängig davon in welchem Kulturkreis wir aufwachsen. Das vor allem erfordert Mut, Wissen, Durchhaltekraft und Ehrlichkeit.

Teil I – Selbstbild der muslimischen Frau: Nicht nur Nicht-Muslime haben ein vorwiegend negatives Bild von muslimischen Frauen, sondern auch viele muslimische Frauen von sich selbst.

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