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Österreichs ältestes Gesetz für MuslimInnen aus dem Jahr 1826

Die Frage, ob der Islam zu Österreich gehöre, wurde in jüngster Vergangenheit von gewissen Politikern gerne aufgegriffen und entsprechend hochstilisiert sowie von einem Teil der Bevölkerung entsprechend negativ bewertet. Selbstverständlich steht eine solche ablehnende Haltung in Verbindung mit den globalen Anschlägen sektiererischer Gruppierungen, die sich in erschreckender Weise als die “wahren Muslime” sehen und positionieren. Daraufhin alle MuslimInnen in Österreich pauschal als “die Anderen” darzustellen und womöglich abzulehnen, ist jedoch hinsichtlich einer bewussten gesellschaftlichen Exklusion höchst problematisch und fördert bestehende Ressentiments innerhalb einer immer heterogener werdenden Bevölkerung. Geht man allerdings zurück in die Geschichte, sieht man schon in der Gründungszeit Österreichs, dass es keine homogene österreichische Gesellschaft gab, auch wenn vor rund 200 Jahren die Heterogenität hauptsächlich in Abgrenzung zu anderen christlichen Konfessionen sichtbar wurde. Aber auch für MuslimInnen gab es in Österreich eigene Gesetze, die nicht nur in Bezug auf die obligatorische Zivilehe (Islamgesetz 1912) eine Vorreiterrolle spielten, sondern auch auf die Beachtung religiöser und kultureller Eigenheiten Rücksicht nahmen. Etwa bei der Beeidigung vor Gericht, zu deren Darstellung im Folgenden auf die Anfänge Österreichs eingegangen wird.

Österreich als mehrsprachiger Vielvölkerstaat im 19. Jahrhundert

Kaiser Franz I. von Österreich gründete im Jahr 1804 das Kaisertum Österreich, musste aber auf Napoleon Bonapartes Druck im Jahr 1806 die Kaiserkrone (als Kaiser Franz II.) des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation niederlegen. Es war die Zeit der Nationalstaatenbildung, in der Kaiser Franz I. gegenüber Napoleon Standhaftigkeit bewies und der Begriff “Österreich” erstmalig staatsrechtlich relevant wird. Schon in dieser Zeit bestand Österreich als Vielvölkerstaat, in dem neben Deutsch auch Ungarisch, Italienisch, Tschechisch, Polnisch, Ukrainisch, Rumänisch, Kroatisch, Serbisch, Slowakisch und Slowenisch gesprochen wird. Obwohl diese Zeit innenpolitisch nach den Napoleonischen Kriegen von einem harten Polizeiregime geprägt war, das liberale Regungen unterdrückte und den Rückzug des immer stärker werdenden Bürgertums in private Interessensphären begünstigte, ist die Zeit des Biedermeier und des Vormärz (1815-1848) auch eine Zeit der kulturellen und literarischen Blüte.

Strenge religionsrechtliche Regelungen

Aus religionsrechtlicher Sicht war das Kaisertum Österreich jeher christlich-katholisch geprägt, was sich im Speziellen in den strikten Regelungen zu Mischehen zwischen katholischen und akatholischen BürgerInnen und deren Kindeserziehung sowie zum Glaubensübertritt niederschlug. Letzterer spielte vor allem im Strafrecht eine Rolle, das sehr deutlich die nachrangige Bedeutung von nicht-christlichen Religionen bzw nicht anerkannten Religionsgemeinschaften aufzeigte. Mit bis zu einem Jahr Kerkerhaft wurde etwa die „Religionsstörung“ bestraft, also wenn jemand „einen Christen zum Abfalle vom Christenthume zu verleiten sich anmaßet“ (Teil I § 107 ff.). Die Hauptzielrichtung dieser Bestimmung bildete zweifelsohne die Verleitung eines Christen zum Übertritt zum Judentum. Als Verbrechen galt ebenfalls „die Ausstreuung einer der christlichen Religion widerstrebenden Irrlehre“. Mit bis zu zehn Jahren schweren Kerkers war demnach zu bestrafen, wer dieses öffentliche Ärgernis durch große Bosheit oder Gefährlichkeit herbeiführte. Grundsätzlich wurde jeglicher Akt der „Proselitenmacherei“, also “die Ausstreuung einer der christlichen Religion widerstrebenden Irrlehre“, bei schwerer Strafdrohung untersagt.

Das erste Gesetz für MuslimInnen in Österreich

Eben in dieser Zeit wurde ein für die Gerichtsbarkeit bedeutsames Gesetz erlassen, dass für MuslimInnen in Österreich bis heute von Interesse ist und in Geltung steht. Es handelt sich um das von Kaiser Franz I. erlassene Hofdekret vom 26. August 1826 zum “Gerichtlichen Eid der Mohammedaner”, das wie folgt lautet:

“Wenn Personen, die der Mahomedanischen [später korrigiert in Mohammedanischen] Religion zugetan sind, als Parteien bei Österreichischen Gerichtsbehörden einen Eid ablegen sollen; so hat ihnen der Richter vor Allem die Wichtigkeit dieser Handlung, die Allwissenheit Gottes, bei dem sie den Eid schwören sollen, und die Strafe des falschen Eides zu Gemüt zu führen. Hierauf werden die Umstände, welche zu beschwören sind, dem Schwörenden in der ihm bekannten Sprache von Wort zu Wort vorgesagt, und derselbe wird, nachdem er sie laut und vernehmlich nachgesprochen hat, befragt: Schwörst du bei Gott? der Schwörende antwortet: Jemin ederim (ich schwöre) und setzt eine der folgenden Formeln, oder auch alle drei zugleich hinzu: Billahi Taala (bei Gott dem Allerhöchsten) oder Wallahi (bei Gott) oder Bismillahi (im Namen Gottes). Zur Verstärkung des Eides kann der Schwörende noch eine oder die andere der Eigenschaften Gottes, wie z. B. des Barmherzigen, des Erbarmers, beifügen, und sagen: Bismillahi Errahman Errahim (im Namen Gottes des Barmherzigen, des Erbarmers). Zur Gültigkeit des Eides ist es aber hinreichend, eine der obigen Formeln, nämlich: Bismillahi, Billahi Taala oder Wallahi, auszusprechen. Der Schwörende kann, wenn das Gericht mit einem Exemplar des Korans versehen ist, angewiesen werden, während der Ablegung des Eides die rechte Hand auf dasselbe zu legen. Dieser Gebrauch des Korans ist aber zur Gültigkeit des Eides nicht wesentlich notwendig. Für keinen Fall darf dem Schwörenden gestattet werden, bei der Ablegung des Eides den Zeigefinger der einen Hand in die Höhe zu halten.

Nach eben diesen Vorschriften ist auch von Zeugen Mahomedanischer Religion der Eid aufzunehmen. Diesen wird eine allgemeine Beteuerung, dass sie die reine Wahrheit aussagen werden, oder ausgesagt haben (Ersteres in bürgerlichen Rechtssachen; Letzteres in Kriminal-Angelegenheiten) vorgehalten, und wenn sie dieselbe nachgesprochen haben, die Frage: Schwörst du bei Gott? an sie gestellt. Im Übrigen sind in Ansehung des Zeugenverhöres die allgemeinen Vorschriften der Gerichtsordnung und des Strafgesetzbuches zu beobachten.” [*]

Bis heute in Kraft stehende rechtliche Regelungen zur Beeidigung vor Gericht

Bis heute spielt im österreichischen Zivilrecht (zB § 377 ZPO) die Ablegung des Eides zum Zweck der Wahrheitsfindung eine Rolle. Auch das Gesetz vom 3. Mai 1868 zur Regelung des Verfahrens bei den Eidesablegungen vor Gericht steht noch in Kraft. Demnach haben katholische Christen „bei dem Schwure den Daumen und die zwei ersten Finger der rechten Hand emporzuheben und den Eid vor einem Crucifixe und zwei brennenden Kerzen abzulegen“, während Juden auf die Thora und Muslime – wie oben belegt – auf den Koran schwören dürfen. Eine falsche Beweisaussage unter Eid zieht gemäß § 288 Absatz 2 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren nach sich.

Allerdings nimmt der religiöse Rückbezug auf Gott in einer immer liberaler werdenden Gesellschaft ab. Erst im März dieses Jahres plädiert der Richter-Präsident Werner Zinkl für die Abschaffung der letzten Relikte des Eides im Zivilprozess, aber auch die Entfernung der letzten Kreuze und anderer Religionssymbole aus dem Gerichtssaal, was vor kurzem heftig im Zusammenhang mit einem Kopftuchverbot für öffentliche Bedienstete, beispielsweise muslimische Richterinnen, diskutiert wurde. Der Justizminister sah diesbezüglich aber aufgrund der Talar-Verordnung aus dem Jahr 1962 keinen Handlungsbedarf, da diese Verordnung ohnehin ein einheitliches Auftreten von Richtern mit Talar und Barett vorschreibt. Allerdings sei diese Verordnung veraltet, weil sie einerseits nicht explizit Richterinnen miteinbezieht und andererseits denn Richtern unter dem Talar einen Anzug aus dunklem Stoff, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte vorschreibt und dies von den meisten Richtern nicht mehr eingehalten wird, wie Präsident Zinkl meint. In Bezug auf die Abschaffung des Eides im Zivilprozess bezieht er sich auf das Strafverfahren, wo man heute bereits ohne Eid auskommt. Würde man bei der Eidesablegung bleiben, dann sollte diese wenigstens eine für alle geltende neutrale Schwurformel ohne jeglichen religiösen Gehalt mittels Handschlag und ohne Kreuz, Kerzen, Thora oder Koran beinhalten, so Zinkl weiter.

Fazit: Islam ist gesetzlich fest in Österreich verankert

Dieses für den Islam in Österreich bedeutende Hofdekret von 1826 zeigt, dass man schon früh damit begann, den Islam als Faktum in der österreichischen Gesellschaft wahrzunehmen, eigene Regelungen für MuslimInnen festzuschreiben und religiöse bzw kulturelle Eigenheiten zu berücksichtigen. Allerdings schuf Österreich (Cisleithanien) erst mit dem Anerkennungsgesetz von 1874 die Grundlage für die Anerkennung der Muslime als Religionsgemeinschaft mit dem Islamgesetz 1912. In diesen Prozess fällt etwa das provisorische Wehrgesetz von 1881, das bald nach der Okkupation Bosniens im Jahr 1878 besondere religiöse Bestimmungen für die eingezogenen Muslime in der kaiserlichen Armee vorsah, etwa in Bezug auf muslimische Feiertage, Moschee-Besuche, Essensversorgung oder ärztliche Untersuchungen. Auch wenn daneben strategische Überlegungen standen, die daraus resultierenden Auflehnungen gegen die Einziehung in die Armee zu entschärfen.

Der Prozess mündete letztlich nach der österreichischen Annexion von Bosnien u. Herzegowina im Jahre 1908 in das Islamgesetz von 1912, das erstmals das allgemeine Recht von MuslimInnen auf öffentliche Religionsübung statuiert. Im Jahre 2015 wurde das Islamgesetz in eine neue Fassung gegossen. Wegen groben Ungleichbehandlungen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften wird das Gesetz von vielen Seiten kritisiert. Auf jeden Fall bildet es den bisherigen rechtlichen Schlusspunkt in der österreichischen Gesetzgebung mit einem Blick auf MuslimInnen, sodass prinzipiell die eingangs erwähnte Fragestellung, ob der Islam zu Österreich gehöre, mittels historischer Fakten rechtlicher Ausprägung bejahend argumentiert werden muss. Auch wenn es durchaus legitim ist, die eine oder andere islamistische Strömung abzulehnen.

*[mittels neuer Rechtsschreibung]

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