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Das Burka-Verbot – eine geeignete Voraussetzung für Integration?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bestätigte kürzlich den Trend in Europa, die Vollverschleierung in Form einer Burka oder eines Niqab in der Öffentlichkeit gesetzlich zu verbieten. Die Richter des EGMR sehen in diesen islamischen Bekleidungsformen Hindernisse für das soziale Zusammenleben und für eine erfolgreiche Integration. Die Selbstbestimmtheit der Frau, ihre individuellen Beweggründe für eine Vollverschleierung und religiöse Glaubensüberzeugungen sind für die Richter nur nebensächlich. Ob ein generelles Verbot tatsächlich der Integration muslimischer Frauen dient und das zitierte „Zusammenleben“ fördert, darf bezweifelt werden. Und so ist das Urteil sicherlich als Antwort auf die gesamteuropäische Stimmung angesichts aktueller Migrationsströme und der Angst vor „Überfremdung“ zu verstehen.

Kerstin Wonisch hat Recht- und Religionswissenschaften an der Universität Graz studiert und sich in beiden Studien auf den Islam spezialisiert. Seit 2016 ist sie Researcher am Institut für Minderheitenrecht an der EURAC Bozen.

Aber kann ein generelles Verbot tatsächlich die Akzeptanz demokratischeWerte und eine Eingliederung in die europäische Gesellschaft bewirken? Eine Studie aus Frankreich belegt das Gegenteil. Einerseits hat die Zahl der Niqab-Trägerinnen und die damit verbundenen islamophoben Übergriffe auf Muslima in Frankreich zugenommen. Der Niqab wird von einem Teil der Frauen seither bewusst als ein identitätsstiftendes Merkmal getragen. Muslima sehen darin nun ein Symbol der Auflehnung, der Provokation gegen die französische Regierung. Bußgelder gegen Frauen in Burka oder Niqab werden seither von reichen Geschäftsmännern oder muslimischen Organisationen bezahlt. Andererseits hat das Verbot der Vollverschleierung den völligen Rückzug eines Teiles der strenggläubigen Frauen aus der französischen Öffentlichkeit zur Folge. Dieses Verbot bewirkt somit gerade das Gegenteil des gesetzlich angestrebten Zieles. Frauen aus konservativen, islamischen Familien haben dadurch nicht mehr die Möglichkeit, sich überhaupt am sozialen, öffentliche Leben zu beteiligen. Das Beispiel zeigt anschaulich, dass gelungene Integration nicht an der Erlaubnis, oder am Verbot des Tragens eines bestimmten religiösen Kleidungsstückes festgemacht werden kann.

Doch handelt es sich bei Burka und Niqab überhaupt um ein religiöses Element? Der Koran selbst schreibt die Vollverschleierung nicht vor, sondern fordert Frauen lediglich dazu auf, ihre Scham zu hüten, ihren Schal um den Ausschnitt zu schlagen und ihre Reize u.a. nur ihren Ehegatten zu zeigen. Auch christliche und jüdische Frauen der arabischen Oberschicht haben damals einen Schleier getragen. Der Prophet Muhammed übernahm diese Sitte. Mit einer Unterdrückung der Frau hatte die Verschleierung historisch gesehen nichts zu tun. Welchen Ursprung haben nun aber Burka und Niqab? Der Niqab hat in seiner Urform bereits vor dem Islam den Beduinen als Schutz vor Wind und Wetter gedient. Die Burka hingegen ist erst seit dem 19. Jahrhundert in Pakistan und Afghanistan nachweisbar. Erst durch den Einfluss von patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und durch die missbräuchliche Verwendung einzelner Koranverse seitens erzkonservativer Muslime hat sich in manchen Regionen die Vollverschleierung der Frau durchgesetzt. Und obwohl die Mehrheit der Muslime der Burka und dem Niqab ablehnend gegenüberstehen, ist die Vollverschleierung für eine Gruppe von Gläubigen Teil ihrer religiösen Überzeugung.

Zweifelsohne kollidiert eine Burka oder ein Niqab mit dem Bild einer modernen, selbstbestimmten Frau. Auch besteht die Gefahr, des Zwanges zur Ganzkörperverschleierung und einer damit verbundenen Unterdrückung der muslimischen Frau. Aber gerade vor diesem Hintergrund soll auf das Recht zur Selbstbestimmung der Frau abgestellt und nicht über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Sorgen und Ängste der Mehrheitsgesellschaft müssen ernst genommen werden, aber gleichzeitig soll die Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben allen Bürgern ohne Differenzierung offenstehen. Ein moderates, partielles Verbot der Vollverschleierung in Bereichen, die z.B. die öffentliche Sicherheit, die Verwaltung oder das Schulwesen betreffen, kann daher eher geeignet sein, den Bedürfnissen einer pluralistisch geprägten Gesellschaft gerecht zu werden.

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