Der Weg der Selbstfindung ist oft schwierig. Mal steht man vor großen Entscheidungen, mal sind es Kleinigkeiten, die einen jungen Menschen zum Nachdenken bringen. Selbstfindung ist Teil des Erwachsenwerdens. Im Zuge dessen stellt man sich häufig die Frage: ,,Wer bin ich eigentlich?“
Dieser Frage wollte ich nachgehen und habe nach persönlichen Gesprächen mit jungen Muslimen und Musliminnen gesucht. In Form von Chats bekam ich einen sehr persönlichen und vor allem ehrlichen Einblick in das Leben junger Individuen. Ihre Erfahrungen sollten allerdings anonym bleiben.
H. ist Studentin und lebt seit zwei Jahren in Wien. Sie erzählt mir, dass für sie und ihre Eltern Bildung höchste Priorität hat, zumal ihren Eltern in ihrem Heimatland Pakistan die nötigen finanziellen Mittel für eine höhere Bildung fehlten. Das habe H. hier in Österreich, so ihre Eltern. Deshalb durfte sie auch nach Wien.
„Eigentlich war das von Zuhause Wegziehen ein großer Schritt für meine Eltern. In Pakistan ist das nicht so üblich, noch dazu als unverheiratete Frau. Dass ich alleine leben darf, verdanke ich im Grunde genommen Österreich. “
H. erklärt mir die kulturellen Unterschiede zwischen österreichischen und pakistanischen Eltern. Ich merke, dass sie mit den Einstellungen ihrer Eltern nicht unbedingt glücklich ist, aber sie dennoch damit leben muss. „Es ist halt so…“, schreibt sie mir. Doch ihre Geschichte geht weiter. Wir kommen auf das Thema Beziehung und, welche Sichtweise ihre Eltern auf voreheliche Partnerschaften haben. Dabei wird H. sehr persönlich und erzählt von ihrem heimlichen Freund.
„Meine Eltern sind gegen jegliche Art von Beziehung zum anderen Geschlecht, zumindest vor der Ehe. Bis dahin soll ich mich von Jungs fernhalten. Wenn sie wüssten, dass ich einen Freund habe, müsste ich mit Konsequenzen rechnen.“
Ich staune und hacke weiter nach, was sie mit Konsequenzen meine. Darüber wolle sie nicht sprechen. H. verrät mir, dass sie sehr glücklich sei, einen Freund zu haben, sie jedoch ihr Glück verstecken müsse, zumindest bis auf weiteres. Sie wisse selber nicht, wie es weitergehen solle, dass sie in einem Dilemma stecke.
„Ich glaube, es gibt viele junge Muslime, die sich verstellen müssen, die sozusagen ein doppeltes Leben führen. Einerseits möchte man seiner Familie und Religion treu bleiben, andererseits versucht man in seinem Hier und Jetzt zu leben und es zu genießen…mit allem Drum und Dran…Dazu gehören auch Partnerschaften. Das verstehen meine Eltern allerdings nicht.“
Das Gespräch mit H. bringt mich zum Nachdenken. Es ist erschreckend zu sehen, wie sehr sie unter dem Druck der Eltern leidet und ihr Privatleben verheimlichen muss. Sie lebt mit Zwängen, die sie in ihrem Dasein als junge in Österreich lebende Muslimin beeinflussen.
Nun stehe ich vor der Frage, ob diese Zwänge durch die Gebote und Verbote des Islams entstanden sind, ob hier die Religion wieder ihre Finger im Spiel hat. Für den Außenstehenden mag das wohl so wirken – Islam besteht nur aus Zwängen. Doch ich möchte an einen meiner ersten Beiträge zurückerinnern, in dem ich über das Entstehen von Zwängen geschrieben habe und ergänze den Beitrag mit einem Vers aus dem Qur’an.
„Es gibt keinen Zwang im Glauben. […]“ (Qur’an 2:256)
Neben H. habe ich auch mit anderen jungen Muslimen und Musliminnen gesprochen, deren Erfahrungen auch immer etwas mit Zwang zu tun haben. In den meisten Fällen kommt dieser Zwang aus dem Familienkreis.
Das ist ein sehr interessanter Beitrag. Ich habe einen ähnlichen Zwang übrigens in meiner Jugend im katholisch geprägten Familienkreis kennengelernt. Kaum Unterschiede. Das finde ich noch einmal interessant. So gesehen gefällt mir auch die zitierte Sure aus dem Koran sehr gut – die ich in der Bibel nicht finde.
Mir hat der Beitrag auch sehr gut gefallen. Es zeigt deutlich das Spannungsfeld zwischen zwei Generationen, die durch unterschiedliche kulturelle Werte geprägt werden. Die Sure aus dem Kuran macht aber deutlich, dass es wichtig ist zu unterscheiden, welche Traditionen aus einem religiösen und welche aus einem kulturellen Kontext entstanden sind. Gerade die aus dem kulturellen Kontext können, ja sogar müssen, manchmal kritisch hinterfragt werden. Das Verhalten der Dame H. stellt die Tradition in der Heimat Pakistan in Frage, regt den Diskurs an, was sicherlich auch oft emotional geführt werden wird, der aber unausweichlich ist, wenn man sich weiterentwickeln und seine eigene Kultur bereichern will.