CEAI

Jung. Entschlossen. Geschieden.

Lieben, geliebt werden, heiraten, eine Familie gründen. Klingt nicht wirklich Aufmerksamkeit erregend. Doch was, wenn man mit 17 Jahren heiratet, dass mit der Liebe nicht wirklich ganz klar ist und man am Ende getrennte Wege geht?

Amina* betritt selbstbewusst den Raum und lächelt freundlich. Eine junge und lebensfrohe Frau ist der erste Eindruck. Doch die heute 23jährige hat mehr durchgemacht, als wie einem auf den ersten Blick erscheinen mag. Warum Amina mit 17 Jahren geheiratet hat, was sie damals nicht wusste und warum sie heute alleinerziehend ist erfahren wir im Laufe unseres Gespräches.

CEAI: Wie alt warst du, als du geheiratet hast und wie würdest du dein damaliges Ich in paar Sätzen beschreiben?

Amina: Ich habe kurz vor meinem 17. Lebensjahr geheiratet. Mein damaliges Ich war recht schüchtern, emotional und gutgläubig. Ich habe nicht viel von der Welt gesehen, hatte auch ein sehr starres Religionsbild. Ich hatte mich nie so richtig mit mir selbst beschäftigt. Ich habe in meiner eigenen kleinen Blase gelebt, hatte keine richtigen Ziele im Leben, was aber auch nicht so untypisch ist für Mädchen in meinen Alter.

CEAI: Wurdest du gezwungen, so früh zu heiraten? Was waren deine Beweggründe damals?

Amina: Habe mich emotional unter Druck gesetzt gefühlt. Ich habe öfters Nein gesagt, jedoch hat man das nicht so wahrgenommen und als ich dann kapitulierend Ja gesagt habe, hat man mich gehört. Ich hatte keinen Zweifel daran gehabt, dass meine Mutter die Hochzeit absagen würde, wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich nicht will, was ich wiederum nicht gemacht habe. Ich schien auch nicht ganz die Situation zu realisieren. Ich war ja dabei zu heiraten und den Gedanken hatte ich unterdrückt. Was passiert nach der Hochzeit, wie schaut mein Leben danach aus? Um all das habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich glaube aber der wahre Beweggrund war, das ich selber nicht wusste, ob ich heiraten soll oder nicht. Ich war mir unsicher. Denn Zuhause habe ich mich auch nicht wohl gefühlt, da meine Mutter und ich keine gute Beziehung hatten. Bei den Streitereien dachte ich mir, ich würde am liebsten den Nächstbesten heiraten um einfach von Zuhause wegzukommen. Da kam die Ehe natürlich auch recht. Wer findet es denn nicht verlocken sein Leben um 180° zu ändern? Einen neu Anfang zu machen. Ich wusste aber damals nicht, dass wenn man von Problemen wegläuft, sie nicht automatisch verschwinden.

CEAI: Hast du deinen Mann vor der Ehe gekannt bzw. geliebt?

Amina: Unsere Familien kannten sich von klein auf, ich habe ihn dabei nicht geliebt, aber fand ihn sympathisch. Nach unserer Hochzeit habe ich mich in ihn verliebt.

CEAI: Inwiefern hat Religion dich in deiner Entscheidung beeinflusst, der Ehe zuzustimmen?

Amina: Religiöse Gründe hatte es nicht wirklich, dass ich geheiratet habe. Außer vielleicht, dass ich dachte, dass es schön wäre mit jemandem zusammen das Paradies zu verdienen. Ich weiß, Klischeehaft (lacht). Und natürlich auch, dass ich dachte, dass man wortwörtlich seinen halben Deen (Glauben) erfüllt, wenn man heiratet.

CEAI: Welche Erwartungen hatte deine Familie an dich?

Amina: Meine Familie wollte natürlich, dass ich mein Bestes gebe um eine gute Ehe zu führen.

CEAI: Welche Erwartungen hatte seine Familie an dich?

Amina: Sie hatten die Erwartung, dass ich mich anpasse an ihren Lebensstil. Es sollte mir klar sein, dass ich jetzt in ihre Familie eingeheiratet habe und es nach ihren Prinzipien gehen wird. Ich sollte auch offener sein und lernwilliger. Dass ich was nicht konnte war für sie kein Problem. Dann konnte ich gleich lernen wie sie die Sachen machen, wie beispielsweise kochen und putzen.

CEAI: Wie hast du dir dein Eheleben vorgestellt und inwiefern hat dies mit der Realität übereingestimmt?

Amina: Ich hatte gedacht, ich würde mit meinem Mann leben und ab und zu halt zu meinen Schwiegereltern gehen und dort mithelfen im Haushalt und beim Kochen. Ich dachte, wir würden uns sehr gut verstehen (Seine Familie und ich), da wir vor unserer Ehe quasi zusammen aufgewachsen sind. Ich mochte seine Geschwister sehr und wollte ihnen auch helfen, wo auch immer ich kann.

Die Realität hat mich schwer getroffen. Ich war öfters bei meinen Schwiegereltern, was mich anfangs nicht gestört hat. Jedoch tauchten mit der Zeit Spannungsfelder auf, was ja nichts Ungewöhnliches ist, wenn Leute anfangen sich regelmäßig zu sehen. Da ich aber sehr emotional war, habe ich es dann sehr persönlich genommen und somit angefangen mich unwohl zu fühlen. In der eigenen Familie streitet man und versöhnt sich wieder. Man weiß, dass jeder seine Macken hat, als ich aber geheiratet hatte, war ich die Einzige, die dem Anschein nach was falsch macht. Ich war nicht selbstbewusst genug, um zu sagen was mich stört.

CEAI: Du hast eine Tochter. Wolltest du Kinder? Wie war das für dich, als du erfahren hast, dass du schwanger bist? Wie war es nach der Geburt?

Amina: Meine Tochter war ein Wunschkind, ich wollte schon immer Kinder haben und habe mich daher sehr gefreut, als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich nie darüber nachgedacht hatte, was „Mutter sein“ für eine Verantwortung ist. Als meine Tochter geboren wurde, war ich überfordert mit der Situation. Meine Schwiegerfamilie hatte mich kaum meine eigenen Erfahrungen machen lassen. Jeder wusste anscheinend besser als ich was mein Kind willl. Ich bin nach der Geburt dann in einer Wochenbettdepression gewesen, ohne zu wissen, dass es so was gibt. Das Verhältnis mit meiner Schwiegerfamilie hatte sich natürlich nicht gebessert.

CEAI: Nach 4 Jahren Ehe bist du gegangen. Wieso?

Amina: Ich habe eingesehen, dass ich die Frau, die sie versucht haben aus mir zu machen, nicht werden würde oder wollte. Der Versuch, es über all die Jahre zu sein, Anerkennung zu kriegen, hatte mich psychisch und physisch erschöpft. Ich war einfach an einen meiner tiefen Punkte im Leben angekommen. Ich war keine Mutter für meine Tochter, noch war ich ein gesunder Mensch für mich selber. Ständige Aufopferung macht einen nicht glücklich, schon gar nicht, wenn sie nie anerkannt wurde.

CEAI: Wenn du nicht glücklich warst in deiner Ehe, wieso hast du 4 Jahre gebraucht, dich scheiden zu lassen?

Amina: Eine Scheidung ist natürlich kein einfacher Schritt, vor allem, wenn man ein Kind hat. Man hat natürlich die Sorge, dass die Ehe nach paar Jahren anders ausgeschaut hätte. Dass Menschen sich ändern. Dass mit etwas mehr Geduld sich die Probleme lösen würden. Ich war geduldig und ich habe mir oft überlegt: „Was mache ich falsch? Was muss ich an mir ändern, damit man mich wirklich akzeptiert?“. Ich dachte sehr lange, dass es an mir liegt, da ich emotional bin, Sachen persönlich nehme und nicht direkt sagen konnte, was mich stört. Es hat mich eine Menge Versuche gekostet zu realisieren, dass nicht ich das Problem war. Die andere Sorge war auch, wie meine Umgebung darauf reagieren würde. „Ist das Grund genug, sich scheiden zu lassen?“ waren eine meiner Zweifel.

CEAI: War es eine einvernehmliche Scheidung?

Amina: Nein, sie ging nur von mir aus.

CEAI: Welche Rolle hat Religion in deiner Scheidung gespielt?

Amina: Sie hat eine Rolle in der Hinsicht gespielt, dass ich mir selber keine Schuldgefühle gemacht habe, weil ich wusste, dass religiös gesehen, meine Gesundheit, mein Wohlbefinden, an erste Stelle steht, bevor irgendwas anderes kommt. Auch, dass ich keine Sünden damit mache, wenn ich mich trenne, weil mir diese Ehe nicht gut getan hat. Ich habe mir auch gedacht, ich muss mich nur vor Gott rechtfertigen und, dass es egal ist ob die Anderen denken, dass es kein Grund war, denn sie wissen ja nicht, wie es mir ergangen ist und müssen sie auch nicht. Ich habe nur vor Gott Rechenschaft abzulegen.

CEAI: Wie hat dein Mann reagiert als er erfahren hat, dass du dich scheiden lassen willst?

Amina: Er war komplett dagegen, hat mir gesagt ich soll es nochmal probieren, dem Ganzen eine Chance geben. Er hat sehr versucht mir ins Gewissen zu reden. Wäre ich mir nicht so sicher in meiner Entscheidung gewesen, hätte ich es mir vielleicht wirklich anders überlegt. Ich wusste aber ganz genau, dass ich es öfters probiert habe und es keinen Sinn macht. Dass es nie funktionieren wird, egal wie lange wir das durchmachen sollten.

CEAI: Wie hat deine Familie/Umgebung/Community auf die Scheidung reagiert?

Amina: Sie waren skeptisch, weil laut ihnen kein triftiger Grund vorlag. Ich habe mich nämlich bewusst nicht im Streit getrennt. Da meine Familie aber von Seiten seiner Familie nicht ehrliche Versuche gesehen hatte, die Ehe zu retten, haben sie und meine Umgebung es hingenommen. Trotzdem bekomme ich bis heute noch verächtliche Kommentare von seitens einiger Familienmitglieder zu hören. Ich glaube, man wartet noch darauf, dass ich sage: „Ich bereue meine Tat“, was ich aber nicht tue. Ich weiß, dass ich das Richtige für mich gemacht habe.

CEAI: Wie hat seine Familie/Umgebung/Community auf die Scheidung reagiert?

Amina: Anfangs waren sie noch nett und haben mir mit netten Worten versucht zu sagen, dass sie nicht interessiert sind an einer Scheidung, nur wegen des Kindeswillens versteht sich. Als sie aber gemerkt haben, dass es sich nichts bringt, haben sie natürlich einen ganz anderen Ton eingeschlagen. Ich weiß, dass sie gedacht haben, ich sei keine gute Frau für ihren Sohn gewesen und dass ich so leichtsinnig eine Ehe hingeschmissen habe. Sie können auch denken was sie möchten, denn ich weiß wie sehr ich für die Ehe gekämpft habe.

CEAI: Gibt es Momente, wo du die Scheidung bereust? Wenn ja, warum?

Amina: Bereuen würde ich nicht unbedingt sagen, aber es gab schon Momente, wo ich daran gezweifelt habe, ob es wirklich das Richtige war. Wenn man nicht mehr tagtäglich mit der Situation konfrontiert ist, vergisst man, wie schlimm es einem ergangen ist. Man denkt oft an die schönen Momente und vermisst sie. Aber ich weiß, dass diese Erinnerungen eher meine Wunschvorstellung sind, die nicht der Realität entsprechen. Wenn man mit einem Menschen eine lange Zeit verbracht hat, ist man emotional noch verbunden und kann nicht gleich damit abschließen. Man muss sich selbst die Zeit nehmen, um die Sache nicht mehr emotional zu betrachten. Mir persönlich hat das sehr geholfen, mir eine Trauerzeit zu geben und dann aber nicht mehr in Erinnerungen zu versinken.

CEAI: Was würdest du heute deinem 17jährigen Ich sagen?

Amina: Hör auf dir Sorgen zu machen, was Leute von dir denken werden. Investiere Zeit in dich und in deine Weiterbildung. Liebe und akzeptiere dich wie du bist. Hör auf, deine eigene Kritikerin zu sein und sei stattdessen deine beste Freundin. Verändere dich für niemanden, außer dich selbst. Lass dir nicht sagen, was du kannst oder nicht. Versuche den Fokus auf dich zu richten und mach deine Ausbildung fertig. Merk dir auch, dass Probleme Herausforderungen sind und, dass wenn man im Leben nie Herausforderungen begegnet, man auch nicht wächst. Bleib nicht in deiner Komfortzone.

CEAI: Wenn du die Zeit zurück drehen könntest, würdest du die Ehe absagen?

Amina: Darüber habe ich schon öfters nachgedacht. Aber um ehrlich zu sein denke ich nicht, dass ich absagen würde. Sie hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin und auf diese Frau bin ich stolz. Denn wenn man ganz am Boden ist, geht der Weg nur noch aufwärts.

CEAI: Was würdest du deiner Tochter sagen, wenn sie mal jung heiraten möchte?

Amina: Ich hoffe meine Tochter und ich werden eine gute Beziehung zueinander haben, sodass sie nicht das Gefühl hat, von Zuhause so schnell wie möglich weg zu wollen. Ich bin überzeugt, dass junge Mädchen nicht grundlos so früh heiraten. Entweder ist es der Druck in der Community, ein mangelndes Selbstbild, Probleme zu Hause oder einfach eine naive Vorstellung was eine Ehe ist, was wiederum auf die Erziehung zurück zu führen ist. Meiner Tochter würde ich es daher nicht empfehlen. Mir ist aber schon klar, dass sie in ihrem Leben ihre eigenen Fehler machen muss um zu wachsen, ich kann sie, auch wenn ich will, nicht auf das ganze Leben vorbereiten.

* Der Name wurde auf Wunsch geändert

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