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Als nur die Ehre zählte

Was bedeutet Ehre und woher kommt sie? Selbst für den Ehrenvollen schwer zu erklären, denn Ehre ist immer auch individualisiert und durch die eigenen Lebensumstände geprägt.

Jeder besitzt sie und jeder kennt sie – die eigenen Werte. Dabei geht es meistens um kulturell-traditionell manifestierte Wertvorstellungen und Lebenseinstellungen, begleitet von familiär-religiös geprägten Sichtweisen, Traditionen, Weltanschauungen … es geht unendlich weiter. Nicht selten ist auch die Rede von Ehre. Lassen wir diesen Begriff etwas wirken.

Ehre hat für jeden eine andere Bedeutung und spielt eine unterschiedliche Rolle im eigenen Leben. Sie ist deshalb so schwer zu erklären, weil sie von Motiven geleitet ist, die wiederum soziologisch, psychologisch, aber auch religiös begründet werden müssen. Diese Motive können einen persönlichen, familiären, kulturellen Ursprung haben. Doch, bewegen wir uns etwas weg vom Theoretischen.

Man wird den bitteren Beigeschmack nicht los, den man mit dem Begriff der Ehre so stark verspürt. Woran das wohl liegt? Vielleicht daran, dass Ehre  schon vielfach missbräuchlich als Vorwand benutzt wurde, um die ein oder andere Tat so zu rechtfertigen. Es ist schwierig dabei, nicht  an Ehrenmord zu denken. Ehrenmord ist ein Klassiker in vielen türkischen Familiendramen, so sehr das auch abwertend und verallgemeinert klingt. Die Ursachen sind ähnlich, das Szenario ist fast immer dasselbe: Die Tochter macht etwas, das für die Familie unakzeptabel ist oder als Schande in ihrem Kulturkreis gilt. Diese Tat kann so schwerwiegend sein, dass die Familie diese nicht auf sich sitzen lässt, denn damit wäre auch der Ruf der Eltern geschädigt. Die Ehre der Familie lässt es nicht zu, dass eine schandvolle Tat nicht irgendwie sanktioniert wird. So wird die Tochter entweder aus dem Familienkreis ausgestoßen oder es passiert das, wovon man so oft in den Nachrichten hört und sieht. Sie wird umgebracht vom eigenen Bruder, dem Vater, dem Cousin oder gleich von mehreren Familienmitgliedern. Die Folgen dieser Tat sind dabei nur nebensächlich, denn was zählt, ist die Ehre. Die Gleichgültigkeit der Täter ist oft erschreckend, zumal es sich dabei um die Familienmitglieder des Opfers handelt. Von Reue ist in solchen Fällen kaum zu sprechen.

Immer wieder hört man davon, wie sich ein muslimisches Familiendrama bis hin zu Ehrenmord zuspitzt. Dabei sind die Gründe für Ausstehende nur schwer nachzuvollziehen. Ehrenmord wird fälschlicherweise dadurch begründet, islamisch zu sein. Täter sind sich dessen jedoch nicht wirklich bewusst, weil Ehre als oberstes Gebot innerhalb des eigenen Familienkreises von Generation zu Generation weitergegeben wird, ohne die Gründe jemals zu hinterfragen. Es klingt schon fast paradox. Ein komplex aufgebautes System aus Faktoren, die den Begriff Ehre so maßgeblich prägen, dennoch in sich keine Schlüssigkeit aufzeigt und dem einfachen Muslim von heute keineswegs plausibel erscheint, trotz allem an Gültigkeit, ja fast an Heiligkeit besitzt. Ja, das mit der Ehre versteht niemand so richtig.

Halid K., ein junger Muslim, der in Österreich aufgewachsen ist, ursprünglich aus der Türkei stammt, kennt das Dilemma mit der Ehre nur zu gut. In einem anonymen Chat spricht er offen über das heikle Thema.

Obwohl meine Eltern nie streng gläubig waren, gab es gewisse Dinge, die einfach wichtig waren. Ich und meine Schwester wurden nicht wirklich auf diese Dinge hingewiesen, sondern bekamen diese eher beiläufig mit. Das waren so Sachen wie du bist unser einziger Sohn, du darfst uns nie enttäuschen. Damit war (meistens) gemeint, ich solle doch so schnell wie möglich heiraten und das gefälligst jemanden  aus der Türkei. Für meine Schwester galt dasselbe, nur wurde ihr, täte sie das nicht, viel öfter mit schlimmen Konsequenzen ins Gewissen geredet, so zumindest mein Eindruck. Mit den Jahren veränderte sich meine Sichtweise auf viele Dinge. Irgendwie entwickelte ich mich in das genaue Gegenteil, von dem, was meine Eltern von mir verlangten. Ich war 25, noch immer nicht verheiratet und hatte noch dazu eine Freundin, die nicht aus der Türkei war. Halb so schlimm, dachte ich mir bis zu dem Tag, als ich meinem Vater davon erzählte. Und was ist mit deiner Ehre, mein Sohn? Ehre bekam ganz plötzlich eine lebensnahe Bedeutung, die mein Leben von da an sehr veränderte. Und was ist mit mir? Mein Vater und ich sprachen seitdem nie mehr wieder miteinander.

Und was genau bedeutet Ehre? Kann ich nicht beantworten, ich hab´s nicht so mit der Ehre.

Dass Ehre auch etwas mit Zwang zu tun hat, ist für die meisten Eltern nicht ersichtlich. Dass dadurch Richtlinien vorgeschrieben werden, wie man möglichst ehrenvoll leben soll, die noch dazu mit dem Islam zu tun haben sollen, aber eigentlich die auf sozio-kulturell gestützte Begründungen irreführende Überzeugung einer Familie ist, erkennen manche. Wohin nur mit der Ehre? Viele wissen es nicht.

 

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