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Muslime – Zwischen Rechtfertigungsdruck und geringem Selbstbewusstsein

Die Anschläge in Beirut und Paris haben weitrechende Folgen. Sicherheitspolitisch, asyltechnisch und natürlich auch gesellschaftsspezifisch. Wieder werden Talkshows zum “Islam” abgehalten werden. Wieder werden Experten befragt werden, “wie gefährlich der Islam ist” und wieder werden sich Muslime davon in ein Eck gedrängt fühlen. Drehen wir uns im Kreis?

Direkt nach dem Pariser-Anschlag wandte ich mich den sozialen Netzwerken zu. Ich wollte wissen, wie die Menschen auf derartige Entwicklungen reagieren. Vor allem aber interessierte mich die Reaktion von Muslimen. In den unterschiedlichsten Diskussionsforen fand ich von Trauerbekundungen, über Suren vom Koran die von der Barmherzigkeit Gottes handeln, bis hin zu den wildesten Verschwörungstheorien alles.
“Ein Versuch die Flüchtlinge an den Toren Europas zu stoppen”, schreibt einer. “Der Anschlag ist inszeniert” oder “Sie wollen nur den Islam beschmutzen… Sure 5, Vers 32: Wer einen Menschen tötet, tötet die Menschheit, wer einen Menschen rettet, rettet die Menschheit“, schreibt etwa Youssef K.
Hamed A., der schon mehrmals kommentiert hatte, prophezeit: “Freu ma uns auf Talkshows zur gefahr des islams und muslimen und super-experten und mehr übegriffen auf uns.”

Viele der hoch-emotionalen Reaktionen kann mal wohl als Verteidigungsreflexe deuten. Andere, wie Hameds, als Ergebnis dieser ständigen Verteidigungsreflexe, nämlich Müdigkeit und das Gefühl, einfach keine Kraft mehr zu haben, die Religion ständig verteidigen zu müssen. Denn resultierend aus bestimmten Annahmen bezüglich existierender Bilder über den Islam und die Muslime, fühlten sich viele dazu verpflichtet, den Islam in Schutz zu nehmen und aufzuzeigen, dass der Islam nicht so sei, wie ihn die Terroristen zu präsentieren vermochten. Diese Verteidigung kann in ganz unterschiedlicher Art und Weise passieren. Manche wenden sich theologischen Gegennarrativen zu und versuchen dadurch den “wahren Islam” aufzuzeigen. Eine andere Form der Reaktion ist eben auch das Stricken von Verschwörungstheorien. Letztere ist eine Art der Verteidigung des Glaubens, gegen jede Art von Angriffen oder Kritik, die in muslimischen Diskussionsforen häufig anzutreffen ist. Sie bietet Muslimen auch eine gewisse Sicherheit und schützt die religiöse Sphäre vor einem “Einwirken von draußen”, das oft als Beleidigung der Religion und somit auch als persönlicher Angriff gewertet wird. Besonders attraktiv werden Verschwörungstheorien dann, wenn sie von Nicht-Muslimen unterstützt und reproduziert werden. “Die anderen” werden dann schnell zu Verbündeten im Kampf gegen islamfeindliche Intrigen.
In diesen Reaktionen lässt sich also immer beobachten, dass hier eine gewisse Verteidigungshaltung immer gegeben ist. Die Angst, die Religion würde auf Grund unvorhersehbarer Ereignisse beschmutzt werden, ist immanent. Ebenso das Gefühl, die Religion und somit auch die persönliche Wahl – nämlich jene, dass man sich für diese Religion entschieden hat – müssen verteidigt, ja gerechtfertigt werden. Es ist eben genau dieses Empfinden, dass vielen Muslimen zu schaffen macht. Dennoch wäre es ein Fehler, auf Basis dieser Beobachtungen zu schließen, dass Muslime per se beileidigte Individuen sind, die derartiges Verhalten grundlos an den Tag legen. Der Blick auf die Mehrheitsgesellschaft liefert hier auch eine andere Perspektive.

Es stimmt schon, ganz objektiv betrachtet, dass wenn man als junger Muslim den Islam verteidigen möchte, man genügend Grund dafür finden wird (siehe etwa S. Schiffers Grundlagenwerk 2012 zum Bild des Islams in den Medien). Zudem attestierte etwa W.Heitmeyer in seinen jährlichen Studien (zw. 2002-2012) zum Islambild innerhalb der Gesellschaft eine steigende islamfeindliche Haltung und bei einer Studie im Jänner 2015 gaben 57% der Befragten an sie empfänden den Islam als Bedohlich bzw sehr bedrohlich. Immer mehr Muslime berichten von Übergriffen auf sie selbst, auf Familie oder Verwandte. Dies bestätigt etwa auch der ZARA-Rassismus Bericht aus dem Jahr 2014, welcher zum Ergebnis kam, dass sich die Zahl der Übergriffe auf Muslime verdoppelt habe. Beiträge wie folgender, werden fast täglich von Muslimen in sozialen Netzwerken geteilt.

Facebook-Post einer jungen Muslimin
Facebook-Post einer jungen Muslima

Derartige Übergriffe und deren (berechtigte) Rezeption unter Muslimen, verstärken das Gefühl eines kollektiven “Sie-wollen-uns-nicht”. Dies spiegelt sich auch in der permanenten Verteidigungshaltung der Muslime wider. Muslime müssen weg von dem Glauben, sich und ihre Religion ständig verteidigen zu müssen auch wenn sie Tendenzen vernehmen, die gegen ihre Religion oder gar gegen sie selbst gerichtet sind. Dass es sie gibt, steht außer Frage. Was jedoch zur Debatte steht, ist wie Muslime damit umgehen. Verharrt man in der Defensivposition, verteidigt seine Entscheidung den Islam gewählt zu haben und rechtfertigt somit den Glauben oder geht man in die Offensive, lebt man den Islam vor, so wie man glaubt, dass es richtig ist und zeigt eben genau dadurch, dass “der Islam” anders ist, dass die Muslime unterschiedlich sind?

Ich behaupte, dass genau dieser Diskurs, dieser Kreis zwischen islamfeindlichen Tendenzen und den spezifischen Reaktionen von Muslimen, die sich unter dem Begriff der Verteidigungshaltung wohl am Besten beschreiben lassen würden, das Selbstbewusstsein von Muslimen massiv geschwächt hat. Das erkennt man etwa daran, dass sich viele Muslime immens freuen, wenn sie eine Frau mit Kopftuch im Fernsehen sehen. Dadurch nehmen Muslime genau jene Unterscheidung selbst vor, die sie selbst ablehnen, nämlich zwischen der Frau mit und der Frau ohne Kopftuch. Denn wenn sie selbst das Kopftuch als Selbstverständlichkeit deklarieren, dann sollte es auch selbstverständlich sein, dass eine Frau im Fernsehen ein solches trägt. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass man sich in diesem Moment, schon auf Grund der vorangegangenen Unterrepräsentation von Musliminnen mit Kopftuch im TV, freut. Genau hier kommt die zuvor beschriebene “Offensivhaltung” ins Spiel. Das Tragen des Kopftuchs ist für viele Musliminnen eine religiöse Pflicht oder ein Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam, oder ein Unterscheidungsmerkmal, was auch immer es ist, es ist ein Symbol für etwas ganz bestimmtes, ein Ausdruck des Glaubens, eine Selbstverständlichkeit. Genau diese Haltung sollte man nach außen tragen, denn das Kopftuch bewusst nicht zu rechtfertigen, das ist das viel stärkere Symbol, das viel stärkere Signal.

 

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