Was mir dieses Wochenende zu Ohren kam, als ich meine Eltern wieder einmal in meiner Heimat im Salzburger Land besuchte, lässt mich nachdenklich und zutiefst erschüttert nach Wien zurückfahren.
Mit diesem Kommentar möchte einerseits das Verhalten der einheimischen Bevölkerung gegenüber helfenden Bürgern, und andererseits das Verhalten der Gemeindebevölkerung gegenüber den Asylwerbern aufgreifen. Dies erscheint mir im Rahmen des CEAI-Projekts deshalb notwendig, weil eine Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingsthema auch eine Auseinandersetzung mit dem islamischen Glauben auf den Plan ruft. Dazu ist eingangs zu erwähnen, dass in meiner Heimatgemeinde einer von 15 Asylwerber einen positiven Asylbescheid erhalten und somit Flüchtlingsstatus hat. Die anderen warten zum Teil bereits über ein halbes Jahr (bis zu 12 Monate) auf eine erste Kontaktaufnahme mit dem BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) zur Ersteinvernahme. Mein von Tourismuseinnahmen geprägtes Heimatdorf erklärte sich noch im letzten Jahr bereit, einen Teil der Asylwerber aufzunehmen, weshalb man prinzipiell der Gemeinde, also dem Bürgermeister und den Gemeinderäten zum einstimmigen Beschluss, einen Dank der Solidarität aussprechen muss. Mehr braucht zur Politik in einer kleinen Gemeinde nicht gesagt werden. Vielmehr muss das Verhalten einiger Gemeindebürger angesprochen werden …
Man kann zum Thema Flüchtlinge unterschiedlicher Meinung sein, doch das Verhalten einiger Bürger in dieser konservativen, christlich-geprägten Gemeinde ist bezüglich der Aufnahme von geflüchteten und teils traumatisierten Menschen schwer zu kritisieren und alles andere als christlich. Es scheint beinahe, als wären Werte und Tugenden wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft oder Aufrichtigkeit verloren gegangen. Vielmehr herrscht unter einigen Bürgern Neid und Hass sowie Ablehnung und Angst. Doch wovor haben sie Angst? Wohl vor dem Unbekannten und den fälschlich geglaubten Unwahrheiten, die nicht selten auf Pauschalisierungen zurückzuführen sind. Als Lösung fällt mir dazu eine göttliche Offenbarung ein: “Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt!” (Q 49:13)
Das Verhalten gegenüber den neuen fremden Mitbürgern
Die neuen fremden Mitbürger aus Syrien, Irak, Afghanistan und Pakisten teilten mir das große Misstrauen und die starke Ablehnung ihnen gegenüber mit. Sie lernen zu Hause die deutsche Sprache, doch keiner spricht mit ihnen, außer die Helfer und Helferinnen bei etwaigen Treffen. Ein syrischer Asylwerber ist beispielsweise Finanzanalyst und zeigte mir seine voll geschriebenen Hefte, die Grammatik und seinen bereits in Erfahrung gebrachten Wortschatz beinhalten. “Deutsch lernen ist nicht das Problem, aber Deutsch sprechen zu lernen ist extrem schwierig, wenn keiner mit dir spricht”, meinte er. Er habe das Gefühl, dass die Einwohner dieses kleinen Bergdorfes großteils uninteressiert und missachtend reagiere. Und immer wieder werden sie mit ihrer Religion konfrontiert. “Plötzlich interessieren sich die Menschen für meine Religion, obwohl ich mein Leben lang nicht wirklich viel mit Religion zu tun hatte”, sagte ein anderer Syrer. “Sollte jeder seinen Glauben leben, den er glaubt leben zu müssen. Ohnehin sind wir alle nur Menschen und als solche wollen wir behandelt werden, egal ob Christen, Muslime, Juden oder Buddhisten”, fügte er noch hinzu. Diese Einstellung ist eine islamische Einstellung nach Gottes Wort: “Euch eure Religion und mir eine Religion” (Q 109:6)
Der kleine elf-jährige Ahmad, der ohne seine Eltern nach Österreich gekommen ist und derzeit in der Nachbargemeinde die Hauptschule besucht, erzählte mir mit leuchtenden Augen, dass er Flugzeugmechaniker werden möchte. Auf die Frage, wie ihm die Schule gefällt, sagte er mir in einem bereits gut verständlichen Deutsch: “Ich mag die Schule, aber die anderen Kinder wollen nichts mit mir zu tun haben, weil sie sagen, ich wäre ein Muslim.” Er ist sichtbar traurig und enttäuscht, weil er keine Ahnung hat, was daran schlecht ist, ein Muslim zu sein. Aus menschlicher Sicht ist das kaum zu ertragen, wenn man sich in die Situation dieses Kindes versetzt. Seinen unmündigen Mitschülern kann man diesbezüglich keinen Vorwurf machen, denn ihre Einstellung beruht auf der Einstellung der Eltern oder deren gesellschaftlichen Umgebung. Dass Ausgrenzung und Diskriminierung eines kleinen unschuldigen Jungen, der sein Leben noch vor sich hat, verheerende Konsequenzen haben kann, dürfte im Bewusstsein vieler einheimischer Eltern keinen Platz haben. Abgesehen von der gesellschaftsbedingten Beeinflussung seiner Entwicklung, kann einem der kleine Ahmad mit seinen Träumen wirklich leid tun, wenn ihm keine Beachtung geschenkt wird.
Ein Einheimischer sagte mir, dass die Asylanten doch froh sein sollten, dass sie zumindest im Frieden hier leben können, immerhin haben sie ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Einen irakischen Asylwerber darauf angesprochen, antwortete mir dieser: “Wir möchten in unserem Leben keine verlorene Zeit erleben, wir möchten schnell Deutsch sprechen können, wir möchten arbeiten, und wenn es wieder Frieden gibt, dann wollen wir diese Erfahrungen in unsere Heimat mitnehmen. Doch wer weiß, ob wir überhaupt bleiben dürfen. Dieses Warten macht einen krank.”
Ein weiteres großes Problem, das erwähnt werden muss, ist die allgegenwärtige Pauschalisierung, die sehr wohl auch auf einzelne Medien zurückzuführen ist. “Sie haben Angst vor uns und sie haben Angst vor unserer Religion”, sagten die neuen fremden Mitbürger im Dorf. “Und wenn ein Asylwerber etwas falsch macht, sind wir alle schuld.” Natürlich gibt es auch unter Asylwerber nicht nur weiße Schafe mit Heiligenschein, und so wird durch manch unüberlegte Aktion eines Einzelnen allen anderen Asylwerber ebenfalls ein schlechter Ruf eingebrockt.
Welche Gründe veranlasst die einheimische Bevölkerung, Menschen aufgrund einer anderen Religion in eine Schublade zu stecken, obwohl sie diese Menschen nicht einmal kennenlernten?
Ist es der Islam, vor dem man sich fürchten muss oder ist es vielleicht die eigene Verunsicherung des abnehmenden Glaubens, die mangelnde Hingabe zur eigenen Kultur oder den Bräuchen, frage ich immer wieder die Einheimischen, wenn ich auf Besuch bin. “Man darf sich doch nicht wundern, wenn sogar Krampusläufe wegen diesen Menschen abgesagt werden müssen”, sagte etwa einer. Ich fragte ihn, weshalb man die eigenen Bräuche absagt anstatt die Fremden darüber aufzuklären, was sie am 5. Dezember im Salzburger Land erwartet? Er stimmte zu, dass es dringend eine Aufklärung für die Fremden brauche. Über den Islam wissen die meisten Einheimischen nicht viel, außer, dass “diese Islamisten kein Schweinefleisch essen und keinen Alkohol trinken”, wie mir ein ehemaliger Schulkollege sagte. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass die Anhänger des Islams “Muslime”, zu Deutsch “Gottergebene”, genannt werden und grundsätzlich keine politische Ideologie verfolgen, wie etwa aus dem Wort “Islamismus”, deren Anhänger die “Islamisten” sind, hervorgeht.
Gut, die Angst vor dem Islam liegt wohl am fehlenden Wissen darüber und ist geprägt von den Terroranschlägen rund um den Globus. Doch sollte auch hier nicht verallgemeinert und alle Muslime unter Terrorverdacht gestellt werden. Diesbezüglich versucht das Projekt “Citizenship Education and Islam” ein modernes Islamverständnis in Europa auszuarbeiten, um die Unwissenheit über diese Relgion und die daraus abgeleitete Angst zu bekämpfen. Die Angst vor Fremden bekämpft man jedoch ganz einfach damit, dass man das Fremde bzw die Fremden kennenlernt. War ich mir vorher über diese neuen fremden Bürger in meiner Heimatgemeinde unsicher, kann ich jetzt sagen, dass ich sie kenne, vor allem, weil ich sie fragte, wie es ihnen geht, woher sie kommen, wie alt sie sind, was sie studierten oder arbeiteten, wie es ihren Familien in der Heimat geht, etc. In diesem Zusammenhang fällt mir der typisch österreichische Spruch ein, den ich meiner Heimatgemeinde nahelege: “Durch’s reden kommen die Leut’ zusammen!”
Das abscheuliche Verhalten gegenüber den helfenden Einheimischen
Noch viel schlimmer als die ablehnende Haltung gegenüber den Fremden, ist das Verhalten gegenüber jenen Menschen, die den neuen fremden Mitbürgern bei ihrem Aufenthalt als Ansprechpartner dienen, ihnen bei der Bewältigung von Verwaltungswegen helfen und letztlich versuchen, sie bestmöglich in die Gesellschaft aufzunehmen und zu integrieren. Anstatt sie hoch zu loben, wird der Akt anderen Menschen zu helfen als feindlich und unloyal gegenüber der eigenen Bevölkerung verstanden. So werden manche der helfenden Einheimischen mit den schlimmsten Vorwürfen denunziert und diffamiert, wobei gezielt versucht wird, sie mit allen möglichen Mitteln zum Schweigen zu bringen. “Das geht soweit, dass sie mir das Auto zerkratzen, Morddrohungen schicken oder meiner Familie drohen, sogar den Betrieb anzuzünden”, sagte eine Helferin. Es werden bewusst Lügen und Schmähungen verbreitet, die in der Bevölkerungen zum Tratsch und Klatsch-Thema bis auf das Letzte ausgeschlachtet werden. Ein böses Spiel am Rücken vorbildhafter Menschen, eine Schande für mein Heimatdorf. Beispielsweise hätte eine engagierte Helferin demnach nicht nur ein Verhältnis mit einem Asylwerber sondern gleich mit mehreren. Dass solche Anschuldigungen und Drohungen dazu führten, sich von der eigenen Bevölkerung ein bisschen Abstand zu verschaffen und die Wahrung der Privatssphäre im Nachbardorf zu suchen, löste gar die Vermutung aus, sie würde sich von ihrem Ehemann und ihren Kindern trennen wollen. Alles erstunken und erlogen. Es wird halt gerne sensationsgierig eine Geschichte weitererzählt, ohne zu hinterfragen, von wem dieses Wissen kommt, geschweige denn, wird selbst mit den Betroffenen darüber gesprochen. Es macht einfach nur im Dorf die Runde.
Abschließend möchte ich mich bei den vielen Gesprächspartnern des letzten Wochenendes bedanken, die mir einen tiefen Einblick des gesellschaftlichen Lebens in meiner Heimatgemeinde ermöglichten, und einen Wunsch aussprechen, der langfristig den sozialen und gesellschaftlichen Frieden aufrechterhalten mag: Bitte macht euch persönliche Eindrücke von den Menschen, die mit euch leben, anstatt Geschichten zu erzählen, die ihr nicht selbst von den Betroffenen gehört habt. Denn so sagt auch Gott: “O die ihr glaubt, meidet viel von den Mutmaßungen; gewiß, manche Mutmaßung ist Sünde. Und sucht nicht (andere) auszukundschaften und führt nicht üble Nachrede übereinander.” (Q 49:12)
hallo michael, schön (?) dein tagebuch zu lesen.
es ist wirklich zu tiefst traurig, wie verbohrt die menschen in den bergen oft sind oder werden.
mein stiefvater ist eu-ausländer und lebt in dem von dir beschriebenen dorf. er ist dort seit jahren und spricht inzwischen sehr gut deutsch. aber bis heute lassen ihn die menschen von allen seiten spüren, dass er ein fremder ist. es wird wenig mit ihm gesprochen, und wenn, dann packen die einheimischen gerne den allertiefsten bergdialekt aus, den auch kein wiener verstehen würde.
man sollte meinen, wenn man die andere seite kennt, würde man einen breiteren blickwinkel bekommen und sich dementsprechend verhalten. falsch gedacht – er hat einfach angst vor den fremden. und anstatt mit ihnen zu reden, verbirgt er seine angst hinter rassistischen witzchen und meidet den kontakt. obwohl er selbst darunter leidet, dass er als fremder gemieden wird, meidet er die fremden. xenophobie ist dort anscheinend ansteckend – dass erinnert mich an zuwanderer, die die fpö wählen.
je unkonkreter oder weiter weg eine bedrohung ist, umso mehr fürchten sich die leute. irgendeine studie vor ca einem jahr hat (angeblich) herausgebracht, dass die angst vor flüchtlingen in regionen mit wenigen oder keinen flüchtlingen weit größer war als dort, wo es einen direkten kontakt mit den menschen gibt, was automatisch ängste abbaut.
doch jetzt, wo die flüchtlinge da sind, haben sich die einheimischen scheinbar so an ihre angst gewöhnt, dass sie einfach den kontakt meiden, damit das fremde fremd bleibt, und man sich weiter fürchten darf.
als ich vor 25 jahren in diesem dorf die volkschule besucht habe, hatten wir ein kind in unserer klasse, das mit seinen eltern aus dem damaligen jugoslawien floh. er wurde von allen gemieden und ausgeschlossen. dann wurde ich, weil er in der nähe von mir wohnte, “gezwungen”, mit ihm zu spielen. wir wurden am ersten tag freunde und von da an bekam er auch kontakt zu allen anderen, da einfach das eis gebrochen war.
wahrscheinlich müsste man dort jetzt einfach das gleiche machen – die einheimischen “zwingen”, einen tag lang mit den flüchtlingen zu spielen. ich bin mir sicher, viele ängst würden abgebaut, und der umgang würde sich gravierend ändern. bleibt nur die frage, wie man die leute dazu zwingen kann.