In diesem Beitrag erlaube ich mir als Fortsetzung zu meinem letzten Artikel Der Islamische Religionsunterricht – Wenn junge Heranwachsende zu Theologen werden die LeserInnen in zwei Unterrichtseinheiten zu begleiten, um ansatzweise auf die Herausforderungen und Chancen des Islamischen Religionsunterrichtes hinweisen zu können.
[author] [author_image timthumb=’on’]https://ceai.univie.ac.at/wp-content/uploads/2016/06/13479835_10154275761137938_64154936_n.jpg[/author_image] [author_info]Sule Dursun promovierte im Fachgebiet Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien. Wir gratulieren zu diesem Erfolg![/author_info] [/author]
In einer meiner Unterrichtseinheiten in der achten Schulstufe versuchten wir mit meinen SchülerInnen die erste Sure des Korans Fatiha (übersetzt die Eröffnende) zu verstehen, in dem eine Zwiesprache von Gott und Gläubigen ausgeführt wird, die die zentralen Glaubensinhalte des Islams beinhalten. Ähnlich wie im “Vater Unser“-Gebet im Neuen Testament beruht auch die Fatiha auf die Verehrung Gottes als Bittgebet der Gläubigen und wird von den MuslimInnen vor allem im rituellen Gebet am häufigsten auf Arabisch rezitiert.
Der letzte Teil dieser Sure bzw. dieses Bittgebetes wird in deutscher Übersetzung folgendermaßen wiedergegeben: „Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, die nicht (Deinen) Zorn verfallen sind und die nicht irregehen“. In diesem Teil der Übersetzung ist also zu lesen, dass die Botschaft Gottes sich über zwei Gruppen von Menschen konzentriert: nämlich jene Gruppen von Menschen, mit denen Gott zufrieden ist und von Gott als nachahmenswert eingestuft wird und jene Gruppe von Menschen, die von der Barmherzigkeit Gottes ausgeschlossen ist und nicht nachgeahmt werden soll.
In der ersten Gruppe wurden jene Menschen thematisiert und infrage gestellt, welche Eigenschaften bzw. Besonderheiten diese Menschen gehabt haben müssen oder haben, sodass diese von Gott als nachahmenswert eingestuft werden. Auch für die von Gott hingewiesene zweite Gruppe überlegten wir uns gemeinsam, warum von Gott abgeraten wird diese Menschen als Vorbild zu nehmen und, warum diese Gruppe von Menschen von seiner Barmherzigkeit ausgeschlossen werden müssen.
Um diese Gruppierungen mit scharfer Linie voneinander zu trennen, thematisierte ich friedensstiftende Menschen und Menschen, die sich für Kriege einsetzen. In diesem Zusammenhang kam eine Frage von einem Mitschüler, wie Gott zu Christen steht. Diese Fragestellung war für mich nachvollziehbar. Ich empfand diese Fragestellung von meinem Schüler berechtigt, weil mich mir bewusst bin, dass sich viele meiner SchülerInnen in einem religiös-homogenen Umfeld bewegen und oft nur die Schule einen Lebensraum fruchtbarer Quelle für die Diversität darstellt bzw. auch der Islamische Religionsunterricht seinen Beitrag leistet/ zu leisten hat. Zwei weitere SchülerInnen drehten sich mit leicht verdrehten Augen um und antworteten dem Schüler folgendermaßen: „Selbstverständlich liebt der Gott auch die Christen! Was für eine Frage stellst du da?!” Leider war meinerseits nicht vorhersehbar, dass die Stimmung im Raum in diese Richtung hinauslaufen würde. Um den fragenden Schüler nicht im Stich zu lassen, bat ich um Ruhe und ließ ihn nochmals zu Wort kommen. Er begründete seine Fragestellung, da seiner Meinung nach die Christen ja nicht an einen einzigen Gott glauben, aber Jesus als Gott verehren, obwohl er ein Prophet ist.
Ich bemerkte, dass wir uns schon fast am Ende der Unterrichtseinheit befanden. Ohne auf das christliche Gottesbild einzugehen, bezog ich mich als Abschluss der Stunde darauf, dass unser Gott alle Menschen liebt, die friedlich leben und mit ihrem Fleiß, Bemühen und mit besten Charaktereigenschaften zum friedlichen Leben beitragen, unabhängig davon welchen Glauben oder welche Weltanschauung sie haben. In meiner Schule gehört die interreligiöse Zusammenarbeit zu einer Selbstverständlichkeit. Daher schilderte ich die ausgetragene Diskussion um das christliche Gottesbild und des Heilsanspruches an meine Kollegin, die parallel zu meiner Stunde den christlichen Religionsunterricht in der selben Schulstufe unterrichtet. Ich bat sie um eine baldige Einplanung einer interreligiösen Unterrichtseinheit um meine SchülerInnen die Möglichkeit zu geben, alle ihre offenen Fragen an sie zu richten.
Eine Woche später, in der nächsten Einheit standen diesmal meine Kollegin und ich vor unseren christlichen und muslimischen SchülerInnen, worüber sie eigentlich überrascht waren, da diese gemeinsame Unterrichtseinheit kurz vor dem Beginn der Unterrichtsstunde angekündigt wurde.
Auch mein Schüler, der die Frage in der letzten Einheit aufwarf, war anwesend. Durch diese Unterrichtseinheit bezweckten wir die vielen Gemeinsamkeiten beider Geschwisterreligionen und die feinen Unterschiede dieser in den Raum zu bringen, mit dem Ziel ein liebevolles Miteinander zu befestigen und eine reife Religiosität zu fördern. Selbst für mich war es einzigartig und aufschlussreich meiner Kollegin zum Trinitätsverständnis im Christentum zuzuhören. Sie erklärte uns das Trinitätsverständnis im Christentum anhand eines Beispiels. Sie schrieb auf die Tafel H2O und fragte uns nach Zustandsformen des Wassers. Auch die Antwortmöglichkeiten durch Wortmeldungen wie Eis, Wasserdampf verbindete sie mit H2O.
Dadurch war es ihr möglich, uns näher zu bringen, dass ein einziger Gott in unterschiedlichen Formen die Menschen begleitet und genau wie bei dieser chemischen Verbindung es sich um eine einzige Quelle handelt trotz unterschiedlicher Zustandsformen. In dieser Stunde kam sehr klar durch Diskussionen und Fragestellungen heraus, dass sowohl Muslime als auch Christen nach einem gleichen Ziel streben- nämlich die Schaffung des Frieden – allerdings sich dieses Ziel durch ihre Glaubenspraxis unterscheidet. Dabei glauben beide Anhänger an einen und den gleichen barmherzigen Gott, allerdings wird er von Muslimen und Christen unterschiedlich wahrgenommen wird. Auch der fragende Schüler, wie Gott zu Christen stehe, hörte aufmerksam zu und meldete sich immer wieder bei der Fragestellung nach Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam zu Wort, um Stellung zu beziehen. Es war für mich sehr erfreulich zu beobachten, dass auch ihm sehr viele Beispiele einfielen, welche Christen und Muslime verbinden. Zum Abschluss der Stunde bedankte ich mich vor allen SchülerInnen bei meiner Kollegin und wir umarmten uns. Ich denke, dass auch unsere geschwisterliches Verhältnis unseren christlichen und muslimischen SchülerInnen aufgefallen ist, an das sie sich hoffentlich auch im Zuge ihres Heranwachsens positiv erinnern werden….
Bravo! Wunderbarer Beitrag! Unsere irdischen Systeme helfen in unterschiedlichen Weise die Liebe Gottes besser zu verstehen. Die Aufgabe als Mensch ist es, diese Liebe in die Welt zu tragen, und genau das habt ihr mit dieser Unterrichtseinheit getan :-). Ich freue mich!
Die Ansicht Ihrer Schülerinnen zur Frage, wie Gott zu den Christen steht, wäre wohl ohne einen (guten) islamischen Religionsunterricht nicht ohne weiteres zu erwarten. Ein schöner Erfolg Ihres Unterrichts!
Ich genieße Erfahrungen der so natürlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen KollegInnen UND die Tatsache, dass Fragen und Diskutieren im christlichen und islamischen Unterricht so geschätzt und gefördert werden!
Fragen der SchülerInnen waren im katholischen Religionsunterricht okay, so lange ich mich erinnern kann. Aber man hat Fragen eher als Unterbrechung empfunden, als LehrerIn möglichst klar beantwortet und den Gedanken der Kinder selbst wesentlich weniger Raum gegeben.
Ich freue mich über alle guten Beispiele eines fruchtbringenden, friedensfördernden Religionsunterrichts aller Religionen und wünsche Ihnen alles Gute!