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Eine Podiumsdiskussion über Scharia-Gerichte wirft Fragen auf

Der Islam als Religion ist nicht zu verurteilen, ganz im Gegenteil. Der Islam bietet das Potential zur Weiterentwicklung, wenn Menschen nicht erwarten würden, dass der Koran die Probleme der Menschen löst, sondern stattdessen der Mensch Impulse aus dem Koran heranzieht und Probleme im Geiste des Korans reflektiert.

Die Podiumsdiskussion zum Thema Scharia-Gerichte und ihre Folgen am Beispiel Großbritanniens – Paralleljustiz in Europa?“  zu der vergangenen Dienstag im Albert-Schweizer-Haus geladen wurde, war deshalb eine sehr interessante Veranstaltung, weil sie einerseits ein brisantes Thema zum Gegenstand der Diskussion hatte und andererseits, weil professionelle Fachexpertinnen am Podium saßen. Einige Statements sind jedoch zu hinterfragen. 

Unter den TeilnehmerInnen war auch Elham Manea, eine jemenitisch-schweizerische Politikwissenschaftlerin, Autorin, Menschenrechtsaktivistin, Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, Beraterin der Schweizer Regierung und internationaler Menschenrechtsorganisationen.

[box] Elham Manea. Die Autorin befasste sich in ihrem Buch Women and Shari’a Law mit der Problematik, dass Menschen oft als “homogene Gruppen” im westlichen akademischen Diskursen behandelt werden und weniger als Individuen mit eigener Meinung zu bestimmten Fragestellungen. Warum sie meint, dass es für religiöse Minderheiten keine Sonderrechte geben dürfe, lesen Sie im derStandard-Artikel HIER [/box]

Basierend auf ihrer wissenschaftlichen Expertise zur Situation von Frauen in Nahost und den islamisch geprägten Ländern, untersuchte sie in vielen Städten Großbritanniens die dort existierenden Scharia-Gerichte. Gestützt auf ihre Feldforschung problematisierte sie, dass die Zulassung solcher Strukturen gleichzeitig eine Absage an die staatlichen Strukturen Großbritanniens bedeuten würde und auch in der Alltagspraxis viele Missstände dadurch erst geschaffen würden. So würden Frauen etwa der „Willkür“ eines Imams ausgesetzt sein, wenn sie sich an diese Institutionen wenden und die Rechtsprechung entsprechend dem, welcher Imam diese formuliert, zu einem jeweils anderen Ergebnis führen würde.

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v.l.n.r.: Nele Schütze, Moderatorin Lisa Nimmervoll, Elham Manea und Ednan Aslan

Daher sehe sie diese nicht als ein geeignetes Mittel, um Rechte der Muslime als Minderheit in Großbritannien zu schützen, sondern sieht in der Zulassung solcher Strukturen erst die Legitimation systematischer Diskriminierung von Frauen.  Kritisch gibt sie zu bedenken, was die Konsequenzen seien, wenn innerhalb einer Gesellschaft Sondergesetze für bestimmte Gesellschaftsteile erlaubt werden würden und sieht daher diesen Rahmen als einen in einer anderen historischen Epoche zu setzenden. Dabei erwähnte sie, dass sie hier die gesetzliche Dimension des Islams anspricht und grenzt sich davon ab, den Islam als solchen als Problem zu sehen.

Auch der Religionspädagoge Ednan Aslan spricht davon, dass der Koran die Menschen von der „Dunkelheit ans Licht“ brachte und „Denken im Islam nicht verboten sei“ und bestätigt Elham Manea darin, dass der Islam als Religion nicht zu verurteilen ist. Vielmehr sieht der Professor der Universität Wien, dass der Islam viel „Potential zur Weiterentwicklung“ bietet, wenn Menschen nicht erwarten würden, dass der „Koran die Probleme der Menschen löst“, sondern stattdessen man die Impulse aus dem Koran heranzieht und Probleme im Geiste des Korans reflektiert.

Auch die Vielfalt der MuslimInnen innerhalb des Islam gilt es rainer_prohaska_1wahrzunehmen und Positionen, wie jene seiner am Podium anwesenden Kollegin Elham Manea und seine eigene, sichtbar zu machen. Denn gerade weil man den Islam liebt und sein Potential zu einer zukunftsfähigen Religion erkennt und sichtbar machen möchte, kritisiere man die Umgangsweise vieler MuslimInnen mit dieser Religion und nicht etwa, um diese Religion schlecht zu machen.

Ich persönlich war sehr beeindruckt von diesen beiden Podiumsgästen und habe viele Übereinstimmungen mit deren Ansichten und Perspektiven gefunden.

Alleine die Verwendung der Sprache, wie sie beide WissenschaftlerInnen am Podium anwandten, zeigte einen sehr reflektierten und differenzierten Umgang mit der hier angesprochenen Problematik. Man hatte als ZuhörerIn das Gefühl, dass beiden die Zukunft des Islams sehr wichtig war und sie versuchten daher auch Schwierigkeiten in Bezug auf den Islam, in denen sich Muslime wie Nichtmuslime befinden, fachlich zu skizzieren.

Besondere Standpunkte, die von den ExpertInnen formuliert wurden, wie „die österreichische Rechtslage sei ein Teil des Islams“ und jene, dass „Gott universelle Werte schätzt“ und „Scharia als dynamischer Prozess“ zu verstehen und vom „Din“ getrennt zu behandeln sei, lassen keine Polarisierung der Gesellschaft zu und bieten Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame Zukunft aller in Österreich lebenden Menschen, unabhängig ihrer Religion, Ethnie etc… .

Problematischer jedoch gestaltete sich für mich der Standpunkt von Nele Schütze zu der Frage des Abends. Sie studierte strategische und diplomatische Studien, sowie Geo-ökonomie. Sie hat Arbeitserfahrung auf dem Gebiet internationaler Beziehungen, der Analyse und Organisation in Sicherheitsfragen sowie der Sicherheitsforschung. Sie beschäftigte sich insbesondere mit Menschenrechten und Frauenrechten im Islam.

Bereits in ihrem Eingangsstatement betonte die Expertin, dass das Islamgesetz bereits gute Grundlagen in Fragen der Sicherheit gebracht hätte, da durch dieses etwa die Auslandsfinanzierung verboten sei.

david_paede_1Als österreichische Muslima gibt es nun Elemente des Islamgesetzes, die ich durchaus befürworte und andere wiederum nicht. Aber wenn ein Religionsgesetz von ExpertInnen in Fragen der Sicherheit öffentlich zitiert wird, habe ich große Bedenken im Nachhinein, was denn nun Sinn und Zweck dieses Gesetzes war. Ging es darum die Rechtslage der Muslime basierend auf Menschenrechte und damit auch Religionsfreiheit zu verbessern und rechtlich zu verankern oder handelte es sich bei diesem Gesetz um eines, das als Religionsgesetz formuliert wurde, man aber dadurch Sicherheitsfragen behandelt wissen wollte?

Hervorzuheben ist unbedingt, dass diese Bedenken auch ohne religiöse Zugehörigkeit zum Islam Berechtigung fänden und ich hierbei nicht als betroffene Muslima, sondern als betroffene Österreicherin diese äußere.

Ein weiterer Aspekt, der es verdient hier erwähnt zu werden, war eine Aussage von Frau Schütze, die auch als Trainerin im Bereich interkultureller Kommunikation tätig ist, die mich beunruhigte. Sie argumentierte, dass „Rechte der Mehrheit“ nicht durch „Rechte der Minderheit“ auszuhebeln seien, was gleichsam bedeuten würde, dass man diese beiden gegeneinander aufwiege. Hierbei stellte sich für mich die Frage, von welcher „Mehrheit“ und „Minderheit“ nun gesprochen wird, denn ist es nicht so, dass auch Minderheiten innerhalb einer Gesellschaft Teil derselben sind und dadurch zwei scheinbare Bilder projiziert würden, so dass auf der einen Seite die Mehrheitsgesellschaft und ihr entgegengesetzt die Minderheitsgesellschaft steht? Gilt es nicht viel mehr zu betonen, dass universelle Rechte für alle Menschen einer Gesellschaft zu gelten haben unabhängig davon, ob diese eine Mehrheit oder Minderheit innerhalb einer Gesellschaft bilden? Sollte man Rechte, die Menschen ausgrenzen und im Widerspruch zu universalen Werten stehen, nicht prinzipiell verurteilen, ohne dabei abzuwägen, ob viele oder nur wenige davon betroffen sind? Und sollte man sich nicht eher vor Augen halten, dass es diese Widersprüche zu bekämpfen gilt, auch wenn nur ein einziger Mensch davon betroffen ist?

Während Prof. Ednan Aslan die österreichische Rechtsgrundlage als „Teil des Islams“ sieht, bezeichnete Nele Schütze „die laizistischen Werte Österreichs“ als unvereinbar mit islamischen Werten. Sollte die Diskussion nicht dahingehend geführt werden, wie das religionsverfassungsrechtliche System in Österreich, nämlich das Kooperationssystem, die Integration des Islam beeinflusst, gerade in Bezug auf die kollektive Religionsfreiheit?

Gerade von ExpertInnen erwartet man, dass sie anhand ihrer Expertise, fachlich korrektes Wissen und eine in die Tiefe gehende Analyse der Problemstellungen darbieten, anstatt sich oberflächlich Thematiken anzunähern. Das Auftreten von Fachleute muss sich zu jenen von Populisten und Demagogen gerade darin unterscheiden, dass sie einer bestimmten fachlich korrekten Argumentation folgen und nicht durch ihre Beteiligung in öffentlichen Debatten erst recht eine Schieflage innerhalb der Gesellschaft bewirkt und so Bilder entstehen, die nicht dem Alltag gerecht werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich lange überlegt habe, ob und in welcher Form ich zu dieser Veranstaltung bezugnehmen soll, denn solche Veranstaltungen zu solch gegenwärtig bewegenden Themen sind unbedingt erforderlich, um einerseits Menschen nicht mit ihren Sorgen und Ängsten alleine zu lassen und andererseits jenen eine Stimme zu geben, die selbst ein Teil muslimischer Gemeinschaften sind, um die Vielfalt des Islams zu erkennen und zu sehen, dass Muslime selbst durchaus fähig sind ihre Lage zu erkennen und Probleme von innen anzusprechen.

Nichtsdestotrotz empfand ich die Diskussion am Podium als eine, die die Probleme benannt hat, aber wenig lösungsorientiert war. Die Situation in der sich gegenwärtig Muslime wie Nichtmuslime befinden, ist gerade deswegen eine brisante, weil man sich der Probleme bewusst ist, jedoch will man gerade von Experten auch Chancen für die Zukunft hören und Lösungsvorschläge, auch wenn es keine fertigen „Rezepte“ in dieser Hinsicht geben kann. Diesen Ansatz verfolgten in der Diskussion sowohl Elham Manea als auch Ednan Aslan.

Insbesondere deswegen, weil „Laien“ eher in „Bildern“ des „WIR“ und des „ANDEREN“ sprechen, erwartet man von ExpertInnen einen reflektierten Umgang mit der Sprache, die sie verwenden, um einerseits fachlich korrekt zu bleiben und andererseits den Eindruck nicht entstehen zu lassen oder gar zu bekräftigen, dass es ein „ Wir“ und die „Anderen“ gibt.

Geholfen wäre uns allen auch, wenn ExpertInnen in Menschen- und Frauenrechten nicht als „Verteidiger“ westlicher Rechtssysteme bzw. Wertesysteme auftreten, denn auch WIR Muslime in Österreich sind Teil dieses Systems und müssen in diesem Zusammenhang im gleichen Maße mitgedacht werden.

Da ich selbst Muslima bin, bitte ich darum, meine Kritik an die Expertise einzelner Podiumsgäste dieser Veranstaltung nicht als eine Reaktion aus der Ecke der Rechtfertigung „abzustempeln“, sondern diese mit dem gleichen Respekt zu begegnen, wie man dies getan hätte, wenn man meine Religionszugehörigkeit nicht identifizieren könnte.

Abschließend möchte ich betonen, dass es gilt, gemeinsam – Nichtmuslime wie Muslime, Frauen wie Männer, Junge wie Alte – gegen Unrecht aufzutreten und nicht das Unrecht als vom „anderen“ ausgehend zu betrachten.


Bilder von David Paede, Nina Scholz und Rainer Prohaska.
Unterstützung durch Heiko Heinisch.
Herzlichen Dank an alle Mitwirkenden!

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