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Dokumentationsstelle und Gefahren des politischen Islam

Eine Beobachtungsstelle für religiös motivierten politischen Extremismus könnte einen wichtigen Anstoß liefern. Dafür müsste sie aber an der Integration der Muslime wirklich interessiert sein; also Debatten anregen und diese wissenschaftlich begleiten.

Laut Integrationsministerin Susanne Raab haben die jüngsten gewalttätigen Auseinandersetzungen in Wien-Favoriten einmal mehr die Notwendigkeit einer Beobachtungsstelle für religiös motivierten politischen Extremismus, vor allem des politischen Islam, aufgezeigt, wie sie ja bereits im Regierungsprogramm mit Blick auf die Verhinderung der Festigung von Parallelgesellschaften verankert ist. Was sind die Chancen und Risiken einer solchen Beobachtungsstelle?

Wellen von brutalen Terroranschlägen versetzten nicht nur die nichtmuslimische Welt in Aufruhr; viel mehr noch wurde vielen Muslimen, die sich außerstande sahen, dieses Phänomen mit der kanonisierten islamischen Literatur zu begründen, klar, dass es an ihnen liegt, Antworten auf dieses Phänomen zu finden. So entspannen sich in der islamischen Welt heftige Debatten, in denen es um die Frage ging, welcher Stellenwert Gewalt in der islamischen Theologie zukommt und inwieweit Gewalt und Terroranschläge in muslimischen und nichtmuslimisch geprägten Ländern durch die Theologie begünstigt werden. Eine weitere Diskussion beschäftigte sich mit der Frage, ob der Theologie, die der Religion des Islam seit dem achten Jahrhundert bis in die Gegenwart als unveränderliches Dogma zugrunde liegt, wirklich der Auftrag zur Errichtung eines islamischen Staates zu entnehmen ist – als ein Auftrag, dem jeder Mensch muslimischen Glaubens zeit seines irdischen Daseins nachzukommen hätte.

Strafe und Gewalt

Diese Art von innerislamischen Debatten sind mittlerweile zum Erliegen gekommen – ohne dass die theologische Rechtfertigung von Gewalt im Namen des Islam auch nur ansatzweise erschüttert worden wäre. Nur vermag die von Apologeten immer wieder vorgetragene Beteuerung, dass der Islam eine friedliche Religion sei, angesichts der offenkundig wenig ausgeprägten Friedensliebe eines Teils der Muslime weder die Intellektuellen in der islamischen Welt noch die Menschen im Westen länger zu überzeugen.

Dabei würde ein neuer Denkansatz, einer, der sich um kritische Reflexion bemüht, schnell zur Erkenntnis gelangen, dass Strafe und Gewalt nicht Teil der spirituell-ethischen Dimension des Korans sind, sondern dass ihre Wurzeln in der vorislamischen arabischen Tradition liegen.

Ähnlich verhält es sich mit den Hadith-Sammlungen, in denen die Aussagen des Propheten niedergelegt sind. Darin enthaltene Stellen, die Gewalt nicht nur verherrlichen, sondern die Muslime explizit zu ihrem Gebrauch aufrufen, sind die theologisch verbrämte Bekundung der Interessen arabischer Stammesführer und der politischen Ambitionen von Dynastien, zu deren Durchsetzung diese auch nicht vor der Umdeutung des Erbes des Propheten in ihrem Sinne zurückschreckten.

Fehlende Entschlossenheit

Und eben deshalb, weil diese Theologie lange unreflektiert weitergegeben wurde, konnten die Idee eines islamischen Staates und die moderne jihadistische Gewalt eine derartige Wirkmacht entfalten. Um die Entwicklungen der theologischen Tradition richtig einordnen zu können, bedarf es denn einer neuen Annäherung an die Quellen. Zu einem solchen Umdenken aber fehlt es in der muslimischen Welt leider an Entschlossenheit – zu gravierend wären die Folgen, die kritische Menschen für ihr Leben und ihre berufliche Zukunft zu gewärtigen hätten.

Vor diesem Hintergrund könnte eine Beobachtungsstelle für Extremismus tatsächlich einen wichtigen Anstoß geben, die Auswirkungen dieser Tradition auf in Österreich beheimatete Muslime zu analysieren und sich mit den Folgen auseinanderzusetzen, die politischen Ansprüche des Islams in den pluralistisch-säkularen Verhältnissen Europas neu zu denken und Koran und Sunna einen Platz in der europäischen Denktradition zuzuweisen.

Das Thema der Errichtung eines islamischen Staates sollte aber nicht nur unter dem Aspekt von Gewalt an sich, sondern auch unter Einbeziehung der religiöse Legitimation beanspruchenden politischen Aktivitäten der Millî Görüs oder der Muslimbruderschaft diskutiert werden. Organisationen wie diese mögen nicht für physische Gewalt verantwortlich sein, als geistige Quelle von Gewalt spielen sie durchaus eine Rolle. Solange in den Moscheen und Verbänden nicht eine sehr offene und unabhängige Debatte über diesen Punkt stattfindet, steht nicht nur eine neue Prägung des Islam, sondern seine Zukunft in Europa selbst auf dem Spiel.

Die Beobachtungsstelle hingegen sollte ihre Aufgabe nicht allzu wörtlich verstehen – also nur beobachten, sonst wäre sie nichts anderes als eine Hilfspolizei –, sondern auch Debatten anregen und diese wissenschaftlich begleiten. Der Erfolg einer solchen Stelle hängt davon ab, ob sie wirklich an der Integration der Muslime interessiert ist oder sich damit begnügt, mit der Produktion medienwirksamer Berichte die Interessen der Politik zu bedienen.

Klare Kompetenzen

Wenn Ersteres der Fall ist, braucht diese Stelle zum einen die entsprechenden Kompetenzen sowie Organisationsstrukturen, die auf einer guten Kenntnis der österreichischen bzw. europäischen Verhältnisse beruhen. Zum anderen bedarf es einer seriösen Definition ihres Tätigkeitsbereichs: Wer Extremismus bekämpfen möchte, muss auf Alternativen setzen. Damit meine ich, dass die Bekämpfung des politischen Islam nicht dazu verleiten sollte, jegliche andere Erscheinungsform von Islam zu ignorieren.

Leider konnte das Integrationsministerium diesbezüglich noch keine sichtbaren Akzente setzen. Auch die Regierung ist es bislang schuldig geblieben, den nichtpolitischen Islam als Teil der Gesellschaft entsprechend sichtbar zu machen. Dabei sollte man, wenn man meint, den politischen Islam erkannt zu haben, auch in der Lage sein, Alternativen dazu zu erkennen. Eine medial präsente Beobachtungsstelle ist noch keine gesellschaftlich relevante Kraft.Der ‘Kommentar der anderen’ erschien am 4. Juli 2020 im Der Standard
https://www.derstandard.at/story/2000118498581/eine-art-hilfspolizei-waere-zu-wenig

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