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Der „politische Islam“ und seine Folgen für Österreich

Nach dem angesichts ähnlicher Geschehnisse in anderen europäischen Großstädten leider längst zu befürchtenden Terroranschlag von Wien kündigte die Regierung die Einsetzung einer Kommission zur Aufklärung der Tat an und ließ als Zeichen ihrer Entschlossenheit, präventiv gegen den „politischen Islam“ als ideologische Basis des Jihadismus vorzugehen, umgehend Razzien gegen die Muslimbruderschaft durchführen.

Daraufhin meldeten sich zahlreiche Experten zu Wort, um vor allem die Frage zu erheben, was die Regierung mit dem Begriff „politischer Islam“ eigentlich meine – sie selbst könnten damit nämlich nichts anfangen.

Tatsächlich ist der „politische Islam“ in den islamischen Ländern, wo man seit den 70er-Jahren damit konfrontiert ist, ein gängiger, wenngleich nicht unumstrittener Begriff. So etwa argumentieren radikale Kreise, dass dieser Ausdruck vollkommen ungeeignet sei, um die ausgreifenden Vorstellungen von einer genuin islamischen Gesellschaft zu erfassen. Oder, in den Worten eines bekannten türkischen Theologen, der als wichtiger Berater der AKP-Regierung gilt: „Es gibt nur einen Islam. Ein Islam, der nicht politisch ist, ist kein Islam“. Gleiches gilt für die Begriffe „Fundamentalismus“, „Jihadismus“ oder „Radikalislam“, die allesamt mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass sie nicht ausreichten, um die Vollkommenheit des Islams zu beschreiben. 

Eine brauchbare Definition des Begriffs hat, wie mir scheint, Rasyid Baswedan in seinem Artikel „Political Islam in Indonesia“, in dem er den Werdegang indonesischer islamischer Parteien nachverfolgt, vorgelegt. Ursprünglich der Idee von einem auf der Scharia gründenden Staat verhaftet, hätten sich diese Parteien nach 1998 eines anderen Wegs besonnen und seien, ohne ihrem Ideal abzuschwören, dazu übergegangen, eine islamische Staatsform, ein islamisches Wertesystem indirekt, gleichsam durch Unterwanderung staatlicher Strukturen, durchzusetzen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich in Ägypten, Tunesien oder der Türkei beobachten, wo islamistisch orientierte Parteien wie die Nahda oder die Muslimbruderschaft zwar ihre politischen Aktivitäten oder ihre gesellschaftlichen Schwerpunkte modifiziert haben, nicht aber ihr eigentliches Ziel, eben die Errichtung eines islamischen Staates.

Doch auf welche Weise auch immer das Anliegen zu verwirklichen versucht wurde – unter Anwendung von Gewalt wie von Qutb oder Khomeini, durch die Eroberung des Schaltstellen der Macht aus der Gesellschaft heraus wie von Banna oder Maududi, oder durch Terror wie von den Jihadisten – sämtliche dieser Bewegungen sind gescheitert, und zwar deswegen, weil sich mit den von ihnen propagierten Werten kein moderner Staat, als Alternative zu bestehenden Staatsformen, machen lässt. In Pakistan und Tunesien, im Libanon und Sudan, im Iran, in Ägypten und in der Türkei gingen aus diesen Bewegungen nationalistische und diktatorische Regime hervor, die, wie Oliver Roy in seinem Buch „L’Échec de l’islam politique“ ausführt, den Satan im Westen sahen, blind für ihre eigene ideologische Armseligkeit.

Jene Experten, die den Begriff „politischer Islam“ infrage stellen, machen geltend, dass es dafür keine überzeugende wissenschaftliche Definition gebe oder dass die Medien die politische Partizipation bestimmter muslimischer Aktivisten in einem falschen Licht darstellen würden. Auch die Wissenschaft, vor allem die Islamwissenschaft und Orientalistik, tut sich schwer damit, den politischen und gesellschaftlichen Wandel in den islamischen Ländern zu erklären, geht dieser doch viel schneller vonstatten, als ihr Forscherblick zu erkennen vermag. Dabei leuchtet es nicht ein, warum die Wissenschaft einen offenkundigen gesellschaftlichen Wandel negiert, nur weil sie ihn nicht beschreiben kann. Und was das Argument betrifft, die Verwendung des Begriffs würde die politische Einbindung muslimischer Aktivisten hintertreiben, so liegt hier offenbar eine Verkennung der Tatsachen vor. Immerhin wurden allein dreißig der im Zuge der Razzia vernommenen Aktivisten und Wissenschaftler bei der türkischen Medienagentur Anadolu vorstellig, um mitzuteilen, was die Polizei von ihnen wissen wollte.

Was immer es mit dieser Aktion auf sich gehabt haben mag, lässt sich doch erahnen, dass diese Leute Teil eines internationalen Netzwerks sind, das ihre Aktivitäten finanziert und koordiniert. Dessen Zentren verlagern sich immer mehr – getarnt als Institut einer Privatuniversität oder als Stiftung, in Gestalt von renommierten Firmen und Schulen – nach Europa und in die USA. Dass die türkische AKP ihre Aktivitäten in Europa intensiviert, ist auch Folge davon, dass Erdoğans Politik im Nahen und Mittleren Osten, aber auch unter den jungen Menschen im eigenen Land an Einfluss verloren hat (wiewohl Istanbul mittlerweile zu einem operativen Zentrum der Muslimbruderschaft geworden ist, was erklärt, dass die türkischen Medien sehr energisch auf das Islamgesetz von 2015 und ebenso auf die jüngsten Razzien in Österreich und in Frankreich reagierten).

So illusorisch wohl die Hoffnung, dass dem Terroranschlag von Wien kein weiterer folgen werde, so sinnfällig die aus dieser Tat und aus anderen Aktivitäten des „politischen Islams“ zu ziehende Lehre: Für die Gesellschaft hätte es fatale Folgen, wenn die muslimische Gemeinde befürchten müsste, dass die Regierung gegen den Islam vorgeht. Schließlich wäre ohne deren Mitwirkung der Kampf gegen den politischen Islam ein aussichtsloses Unterfangen, am Dialog mit den Muslimen führt also kein Weg vorbei. Selbstverständlich muss deren Vertretern deutlich kommuniziert werden, dass die Einmischung internationaler Netzwerke in die inneren islamischen Angelegenheiten in Österreich nicht geduldet wird. Zugleich aber muss darin Kritik ebenso Platz haben wie die Thematisierung von bestehenden Konfliktfeldern. Dialog darf nicht der Vorwand sein, um dem politischen Islam den Rücken freizuhalten.

Mittelfristig gälte es, die ethnisch-nationalistisch geprägten Moscheestrukturen, die schon lange nicht mehr die gesellschaftliche Realität widerspiegeln, einer grundlegenden Reform zu unterziehen. So sollte die Zulassung von Moscheen seitens der IGGÖ nicht mehr nach ethnischen oder sprachlichen Kriterien, sondern nach regionalem Bedarf erfolgen.

Ebenso wird der islamische Religionsunterricht, der dazu da ist, um junge Menschen auf die Anforderungen einer pluralen Gesellschaft vorzubereiten, seinen Auftrag erst dann voll erfüllen können, wenn die IGGÖ nicht nur das Schulamt und das Institut an der KPH neu strukturiert, sondern auch und vor allem die Leistungen der Lehrenden durch eine unabhängige Kommission evaluieren lässt. Weiters sollte die Ausübung des Imamberufs bestimmten Standards gehorchen, deren Einhaltung von den Behörden und der IGGÖ penibel überprüft wird. Und wie in Vollzugsanstalten durchgeführte Studien zeigen, ist beim Radikalisierungsprozess Jugendlicher fast immer eine Moschee im Spiel – entsprechend wichtig daher, dass die Moscheen Aktivitäten und Predigten darauf überprüfen, ob sie den sozialen Frieden fördern oder gefährden.

Die Koordination und regelmäßige Evaluierung sämtlicher Präventionsmaßnahmen wäre dann Aufgabe der neu gegründeten Dokumentationsstellen.

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