Was denken muslimische Jugendliche über ihre Kultur, wie wichtig ist sie ihnen und wie schaut es mit der österreichischen Kultur aus? Wir haben im Rahmen einer anonymen Umfrage muslimische Jugendliche im durchschnittlichen Alter von 15-25 gefragt. Von den 40 Antwortenden waren 33 weiblich und 7 männlich und ihre Eltern waren ursprünglich aus Afghanistan, Ägypten, Tschetschenien, Bosnien und der Türkei.
Auf die Frage hin, wie wichtig ihnen ihre Kultur ist, haben die meisten mit “wichtig” bis hin zu “sehr wichtig” geantwortet. Für viele spielt sie in der Identitätsbildung eine wichtige Rolle, für andere wiederum ist sie eine Erinnerung an die Familie, wie beispielsweise bei Berfin*: „Ich versuche meine Kultur in der modernisierten Welt hier im Westen nicht zu vergessen, weil sie mir sehr wichtig ist. Viele der Bräuche und Traditionen möchte ich gerne aufrechterhalten, da sie mich an meine Familie erinnern.“
Jedoch nicht für alle Jugendlichen hat sie eine so zentrale Bedeutung, wie unter anderem bei Seda*: „Mir persönlich ist die Kultur nicht so wichtig. Paar Sachen sind zwar schön von der Kultur her, aber ich würde sie niemals als lebensnotwendig bezeichnen oder sagen, dass man nach Kultur leben soll.”
Schätzen tun die Jugendlichen an ihrer Kultur den Respekt, vor allem gegenüber den Älteren, die Gastfreundschaft, den Zusammenhalt, aber auch die Disziplin, die sie gelehrt bekommen. Die Fürsorge füreinander und das Feiern von traditionellen Festen mit traditionellem Essen wird auch sehr positiv gesehen.
Den Einfluss der Kultur beschreibt Süheda* folgendermaßen: „Meine Kultur beeinflusst meine Mimik und Gestik. Es macht mich zu einem freundlichen, immer lächelnden und großzügigen Menschen. Ich schätze am meisten die Gastfreundlichkeit und Toleranz in meiner Kultur. Ich mag es, dass die Menschen offen zu einander sind. Was ich nicht mag ist, dass Menschen manchmal Grenzen überschreiten können. Durch die Offenheit glauben viele, dass man sich in das Leben anderer einmischen kann.”
Auch den anderen Jugendlichen gefällt nicht alles an ihrer Kultur. Weniger begeistert sind sie beispielsweise von den Einschränkungen gegenüber Frauen in ihrer Kultur und auch dem ständigen Einmischen von Verwandten und der Community ins eigene Leben. Als besonders unangenehm wird empfunden, wenn die Kultur über die Religion gestellt wird oder auch zu allem ein kultureller Bezug geschaffen werden muss.
Weitere Antworten:
“Was ich mag ist, dass paar Sachen dem Islam ähneln. Der Respekt zu Älteren. Der Zusammenhalt. Aber was ich nicht mag ist, dass manche Menschen die Kultur zu ernst nehmen und der Meinung sind, dass man nach der Kultur leben sollte. Dass manche den Islam benutzen wann sie wollen und die Kultur auch halt grade wie es für sie passt. Außerdem finde ich in unserer Kultur verurteilt man leider viel zu schnell jemanden.”
“Ich mag das patriotische und sich in alles einmischen zu müssen nicht und, dass Kinder und Jugendliche nicht ernst genommen werden. Mir gefällt und sehr schätze ich die Gemeinschaft: jeder passt auf jeden auf, das Respekt haben und zeigen vor Älteren, Dankbarkeit zeigen für alles, Gastfreundlichkeit und Freundlichkeit.”
“Einige Kleinigkeiten die einen das Leben erschweren, wie zum Beispiel das ignorieren der eigenen Kinder vor dem Vater, sowie Schwiegervater. Ich liebe jedoch die schönen Gesten, wie zum Beispiel einem Kranken etwas leckeres zuzubereiten. Vor den Älteren Respekt zu zeigen und intime Themen nicht mit den Eltern besprechen zu müssen.”
“Ich mag das Essen, die Tänze & die Gastfreundlichkeit meiner Kultur, aber Aberglaube & das Verhältnis oder den Unterschied zwischen Mädchen & Jungen stört mich.”
Wie schaut es nun mit der Österreichischen Kultur aus?
Vielen gefällt die Freiheit, tun und sagen zu können was man will, ohne dass es Andere groß interessiert. Dieses fehlende Interesse kann auch etwas anders betrachtet werden, so Nancy*: “Ich mag die die Pünktlichkeit und die Ordnung hier in Österreich. Auch mag ich es, dass die Menschen hier sagen was sie denken ohne sich irgendwie eingeschränkt zu fühlen. Was ich nicht mag ist, dass die Österreicher (nicht alle natürlich) sehr kalt sind und nicht so gastfreundlich wie ich es kenne. Auch habe ich das Gefühl, dass Österreicher nur Sachen machen, die Ihnen Nutzen bringen. Zum Beispiel würden sie nichts hergeben, wenn sie selber nicht viel haben, was in der arabischen Kultur genau umgekehrt ist. Auch mag ich nicht, dass sie denken man sei gut integriert, wenn man die deutsche Sprache beherrscht. Sie geben einen immer das Gefühl, dass wir nicht gleich sind. Man merkt, dass dieser unterschwellige Rassismus immer wieder in vielen Situationen vorkommt.“
Fehlende Fürsorge sieht auch Madina* in der österreichischen Kultur: “Eigentlich ist mir nichts verwerfliches aufgefallen. Österreicher leben sehr einfach und schön miteinander. Mich stört es jedoch, dass die Kinder ihre Eltern alleine lassen, um selbstständig zu werden. Das geht mir sehr nahe, weil ich mir meine Eltern im Alter so ganz alleine nicht vorstellen möchte.”
Nicht weniger hervorgehoben waren Ordnung, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit, was aber auch positiv als auch negativ gesehen wird, wie Mansur* sagt: „Was ich an der österreichischen Kultur mag und mich gleichzeitig stört ist, dass die meisten sehr ordentlich sind. Etwas zu ordentlich. Gehen zu strikt nach den Regeln. Es ist mehr so ein „jeder für sich“. Man muss aber auch sagen, dass sie oft vertrauenswürdiger sind, wenn es um „Geschäftliches“ geht. Wenn ein Österreicher dir eine Ware verkauft, kann man sich der Qualität ziemlich sicher sein. Zeigt sich am besten dadurch, dass man am Flohmarkt eher bei Österreichern kauft. Auch bei privaten Dienstleistungen (z.B. der Freund ist Kfz Mechatroniker und schaut das Auto für einen an) kann man sich auf eine saubere Arbeit verlassen.”
Weitere Antworten:
“Was mich stört ist ständig über alles jammern zu müssen (passive Aggressivität). Das scheint für mich Kultur bedingt zu sein, … was ich sehr schätze ist die Pünktlichkeit und, dass man Kinder und Jugendliche ernst nimmt und Genauigkeit.”
“Unhöflich, respektlos gegenüber den Älteren, diese ganze Alkohol-Kultur die sie haben und auch komische Mindsets, machen aus einer Fliege einen Elefanten.”
“Was ich mag, ist dass man Nein sagen darf, ohne dass es kulturell als unhöflich betrachtet wird. Was ich nicht mag, ist dass jeder für sich selbst zahlt, dass man Heim geschickt wird, wenn Essenszeit ist.”
*Berfin, 21, kurdischer Herkunft
*Seda, 16, tschetschenischer Herkunft
*Süheda, 26, türkischer Herkunft
*Nancy, 20, ägyptischer Herkunft
*Madina, 22, tschetschenischer Herkunft
*Mansur, 20, tschetschenischer Herkunft
*Namen wurden geändert
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