Heute verschlägt es mich nach Podgorica, der Hauptstadt Montenegros. Sie hat etwa 185.900 Einwohner und befindet sich im Landesinneren von Montenegro. Von 1946 bis 1992 hieß die Stadt Titograd. Damals noch zu Ehren des Präsidenten von Jugoslawien Josip Broz Tito.
Podgorica kennen viele Muslime aus dem Balkan und der Diaspora, weil es hier einen bekannten “Exorzisten” gibt, der in seiner Moschee Menschen von sogenannten Dschinns befreit. I
In der Ortschaft Vladne bei Podgorica übt Prof. Ferid Orahovac seinen Beruf als “Raki” aus – die passendste Bezeichnung im Deutschen ist Exorzist. Er wurde am 21.4.1977 in Podgorica geboren.
Nach der Pflichtschule besuchte er die Madrasa in Novi Pazar in Serbien. Er maturierte als bester Absolvent seiner Generation und bekam ein Stipendium für die älteste und bekannteste Islamische Universität Al-Azhar in Kairo. Er machte seinen Master im islamischen Recht “fiqh” und bekam den Titel Professor der islamischen Theologie verliehen. Er absolvierte auch den Studiengang “Koranheilung” (Heilen mittels Koran) und trägt heute den Titel Scheikh. Er ist verheiratet, hat ein Kind und lebt und arbeitet in seinem Heimatdorf Vladne.
Dschinns sind nach einer bestimmten Auslegung im islamischen Glauben Wesen, die von Gott ebenso erschaffen wurden wie Menschen. Jedoch kann das menschliche Auge Dschinns nicht wahrnehmen, sie wiederum können uns aber sehen. So wie die Menschen können auch Dschinns verschiedene Religionen haben oder verheiratet sein, Kinder haben, wohnen, usw. Sie leben auf unserer Welt. Sie können im Wasser leben, in der Erde, in der Luft oder auch in unseren Heimen. Eine Kategorie der Dschinns wird als bösartig eingestuft und hat sogar übernatürlich Kräfte (Dschinn Schayatin). Solche Dschinns können dem Menschen etwas Böses tun wollen, indem sie seinen Körper besessen. Diese Menschen können aufgrund der Einwirkung von Dschinns in ihrem Körper verschiedene psychische oder physische Beschwerden haben.
An dieser Stelle sind Muslime aber geteilter Meinung, da es viele unterschiedliche theologische Meinungen über Dschinns und ihre “tatsächliche” Macht gibt. Auslegungen über dieses Thema sind länder- und kulturspezifisch unterschiedlich, weshalb als Gegenpol die theologische Position von Muhammad Asad der volksislamischen Ansicht in Montenegro unten im Anhang gegenübergestellt werden soll, um dieses Thema differenziert betrachten zu können.[box type=”shadow”] Mehr Reiseberichte![/box]
In Vladne glauben an die Macht der bösartigen Djinns offensichtlich viele Menschen, vor allem die, die derartige Beschwerden haben, diese jedoch medizinisch nicht erklärt werden können, suchen Hilfe bei Ferid Orahovac. Er erzählt mir, dass seine Sitzungen vier Mal wöchentlich stattfinden. Um 14:00 beginnt seine Sitzung in der Moschee. Die Menschen, die an der Sitzung teilnehmen wollen, stehen mit verschlossenen Augen, damit sie sich auf seine Stimme konzentrieren können. Manche sind zum ersten Mal dabei, andere waren bereits öfter anwesend. Er spricht verschiedene Verse aus dem Koran in sein Mikrofon. Dabei wartet er die Reaktionen der Sitzungsteilnemher ab. Ich bin heute auch dabei. Es sind verschiedene Reaktionen zu sehen und zu hören. Einige fallen zu Boden, andere schreien und sprechen auf einer anderen Sprache, manche weinen, viele zeigen überhaupt keine Reaktion. Die Sitzung dauert 45 Minuten. Ein paar bleiben bis zum Schluss und werden von Orahovac einzeln therapiert. Die nicht so schlimmen Fälle können schon früher gehen.
Nach der Sitzung versammeln sich die Menschen vor der Moschee. Die meisten wissen, was passiert ist, können es aber nicht glauben. Sie sind geschockt über den Ausnahmezustand, in dem sie vor wenigen Minuten waren. Eine junge Frau erzählt mir, dass sie bereits einige Sitzungen hatte und sie sich mit jedem Mal besser fühle. Einige ihrer Beschwerden seien unerklärlich, wie zum Beispiel heftige Atembeschwerden, Selbstmordgedanken, Schmerzen in Gliedmaßen. Sie habe sich schon oft beim Arzt untersuchen lassen. Die Befunde waren immer negativ. Sie vertraue auf Ferid und den Koran. Das sei ihre letzte Hoffnung.
Abschließend sei erwähnt, dass der Vorstellung des Scheikh Ferid Orahovac auf dieser Seite lediglich informativer Charakter zukommt, da absolut keine theologischen Bezugspunkte und sonstige Verbindungen mit dem Institut für Islamische Studien in Wien bestehen. Diese klare Abgrenzung geschieht vor dem Hintergrund, dass Okkultismus, Exorzismus und andere Mächte von einzelnen Personen stets kritisch gegenüberzutreten ist, denn nicht selten – ohne im konkreten Bezug Scheikh Ferid Orahovac etwas unterstellen zu wollen – werden gerade diese sogenannten außernatürlichen Kräfte durch Scharlatanerei in der Gegenwart zu einem boomenden Geschäftsmodell.
ANHANG:
Nach Asad müsse man sich gedanklich von der Bedeutung des Begriffs “Dschinn” trennen, die er in der arabischen Folklore erhielt, um die koranische Bedeutung des Begriffs zu verstehen, denn das folkloristische Bild hat den ursprünglichen Inhalt des Begriffs und seine äußerst bedeutsame, beinahe selbsterklärende Wortableitung etwas verdunkelt. Etymologisch gesehen verweisen alle klassischen Philologen darauf, dass “Dschinn” die “intensive (oder verwirrende) Finsternis” und in allgemeinerem Sinn “das, was den Sinnen (des Menschen) verborgen ist” bedeutet, sodass jegliche Kräfte oder Wesen, die von Menschen nicht wahrgenommen werden können, trotzdem eine eigene objektive Wirklichkeit haben, ob konkret oder abstrakt. Im Sprachgebrauch des Koran hat der Begriff natürlich weitere unterschiedliche Bedeutungen, etwa die am häufigsten anzutreffende Bedeutung von spirituellen Kräften oder Wesen, die keine körperliche Existenz haben und jenseits der Wahrnehmung unserer körperlichen Sinne sind. Asad stellt fest, dass die Konnotationen “Satane” und “satanische Kräfte sowie “Engel” und “engelhafte Kräfte” in Bezug auf die Kräfte der “unsichtbaren Wesen”, wie er die Dschinn beschreibt, allen unseren Sinnen verborgen sind, wo er auf Linie mit Dschawhari und Raghib ist. Nicht zu vergessen ist, dass sich der Koran oft auf den “Bereich, der jenseits der Reichweite der menschlichen Wahrnehmung ist”, bezieht und selbst Gott als der “Erhalter aller Welten (raabb al alamin)” ist. Dieser Pluralgebrauch zeigt deutlich, dass es neben unseren Beobachtungen noch andere Welten mit anderen Formen des Lebens gibt, weshalb wir annehmen müssen, “dass es lebende Organismen gibt, deren biologische Voraussetzungen ganz anders als die unseren sind, ist es nur logisch anzunehmen, dass unsere physischen Sinne nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen mit ihnen Verbindung aufnehmen können”. Gelegentliche Wegkreuzungen zwischen ihrer und unserer Lebensweise können durchaus “seltsame – weil unerklärliche – Erscheinungen hervorrufen, welche die primitive Phantasie des Menschen in der Folge als Geister, Dämonen und andere solche “übernatürliche” Erscheinungen interpretiert hat. […] Davon abgesehen ist es durchaus wahrscheinlich, dass in vielen Fällen, in denen der Qur’an auf Dschinn in Begriffen Bezug nimmt, die überlicherweise für mit Vernunft versehene Organismen gebraucht werden, dieser Ausdruck entweder eine symbolische “Personifizierung” der Beziehung des Menschen mit “satanischen Kräften” (schayatin) impliziert – eine z.B. in Q 6:112, 7:38, 11:119, 32:13 erkennbare Implikation – oder auch eine Metonymie für die Befassung einer Person mit dem ist, was grob als “okkulte Mächte” bezeichnet wird, seien sie real oder illusionär, wie auch für die daraus folgenden Praktiken als solchen wie Zauberei, Nekromantie, Astrologie, Wahrsagerei usw.: Unterfangen, auf die der Qur’an stets in verurteilenden Begriffen Bezug nimmt (Q 2:102, 6:128-130, 72:5-6).” (Asad Muhammad, Die Botschaft des Koran, 2009, S. 1209-1210)
Interessant ist auch Asads Kommentar zu Qur’anvers 21:81 “Und unter den auflehnerischen Kräften (die Wir ihm [Salomon] dienstbar machten,) gab es einige, die für ihn (in das Meer) tauchten und dazu noch andere Arbeiten verrichteten: aber es waren WIR, die über sie wachten.”:
“In dieser wie in mehreren anderen auf Salomon bezogenen Passagen spielt der Qur’an auf die vielen dichterischen Legenden an, die seit der frühen Antike mit seinem Namen verbunden waren und lange vor der Ankunft des Islam fester Bestandteil der jüdisch-christlichen und arabischen Überlieferung geworden waren. Obwohl es zweifellos möglich ist, solche Passagen auf “rationalistische” Weise zu erklären, denke ich nicht, dass dies wirklich notwendig ist. Weil sie so tief in der Vorstellung der Leute verwurzelt waren, an die sich der Qur’an zuerst richtete, hatten diese legendären Berichte von Salomons Weisheit und magischen Kräften eine eigene kulturelle Realität erlangt und waren deshalb hervorragend geeignet, um als Mittel für die gleichnishafte Darstellung gewisser ethischer Wahrheiten zu dienen, mit denen dieses Buch befasst ist: und so, ohne ihren mythischen Charakter zu verneinen oder zu bestätigen, gebraucht sie der Qur’an als Hintergrund für den Gedanken, dass Gott die letzte Quelle aller menschlichen Macht und allen Ruhmes ist und dass alle Errungenschaften des menschlichen Erfindungsgeistes, auch wenn sie mitunter an das Wundersame grenzen mögen, nur ein Ausdruck Seiner transzendierten Schöpfertätigkeit sind.” (Asad Muhammad, Die Botschaft des Koran, 2009, S. 628)