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Muslime in Weihnachtsstimmung

Mit dem ersten Advent zünden wir auch die erste Kerze an und wir singen alle „Advent, Advent, ein Lichtlein brennt“. Und jeden Tag darf ein anderes Kind jeweils eine Tür im Adventkalender öffnen. Morgen bin ich dran. Jedes Kind schenkt einem anderen Kind etwas. Das Spiel heißt „Engerl Bengerl“. Ja, genau das erlebte ich damals in der Schule. Ich machte bei all den Spielen, Liedern und Bräuchen mit. Ich war Muslim und trotzdem kümmerte es weder mich, noch die anderen. Mittlerweile bin ich nicht mehr in der Schule, aber ich habe bereits überlegt, ob ich mir einen Adventkalender zulegen sollte. Und siehe da, ich bin ein Muslim.

Spätestens mit dem 1. Advent und der Eröffnung der vielen Christkindlmärkte hat das Weihnachtsfieber begonnen. Auch bei MuslimInnen? „Dürfen wir überhaupt mitfiebern?“, habe ich mich gefragt, nachdem ich mich selbst während einer Reflexion diesbezüglich ertappte. Ich als Muslim gehe jedes Jahr unbekümmert zu einem der vielen Weihnachtsmärkte. Ich trinke „nur“ den Kinderpunsch und esse mich voll, aber vor allem finde ich die Atmosphäre schön. Ich sehe also kein Dilemma darin, mich als Muslim auf Weihnachtsmärkten aufzuhalten. Doch sobald ich eine Kopftuchträgerin oder einen „offensichtlichen“ Muslim oder eine Muslimin erblicke, frage ich mich bewusst oder unbewusst: „Was macht denn die/der hier?“ Wie um Himmels Willen komme ich dazu, mir so eine blöde Frage zu stellen, wo ich doch selbst Muslim bin und diese Menschen nichts anderes tun als ich. Meine Wortwahl zeigt auch auf mein von Vorurteilen geprägtes Denken. Und mein Denken zeigt meine Verwirrung. Dürfen wir also auf Weihnachtsmärkte gehen? Warum empfinde ich meine Weihnachtsstimmung als selbstverständlich und die der Kopftuchträgerin als widersprüchlich?

Man wächst damit auf

Als Kinder der 90-er Jahre kann ich den Trend, sein Kind in einen islamischen Kindergarten zu stecken, nicht nachvollziehen. Ich ging damals in einen normalen Kindergarten und mit normal meine ich, dass in diesem Kindergarten Kinder waren, die sich durch ihre Herkunft und Religion durchaus unterschieden. Trotzdem fühlte ich mich nie ausgegrenzt oder anders. Vielleicht auch gerade deshalb, weil wir alle so unterschiedlich waren. Im Kindergartenalter versteht man nicht wirklich, dass der Nikolaus etwas mit dem Christentum zu tun hat. Der Nikolaus war immer der große alte Mann mit dem weißen langen Bart, der uns mit seinem Kostüm immer begeisterte. Er begeisterte uns alle. Genauso spannend und lustig war die Eiersuche zu Ostern. Für uns Kinder waren all diese Bräuche von großem Spaß und wir lernten, dass es eine Ordnung in der Welt gibt. Es gibt einen Rhythmus. Der Nikolaus kam nur einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr. Ostereier konnten wir nur einmal im Frühling suchen.
Ich denke, dass Kinder erst im Schulalter wirklich verstehen können, was Religion bedeutet und können sich damit auch intensiver auseinandersetzen. Und genau das geschah auch. Ich besuchte während meiner gesamten Schulzeit den islamischen Religionsunterricht und lernte sehr viel über meine Religion. Natürlich wusste ich auch, dass die meisten anderen Kinder christlichen Glaubens waren. Doch sie hatten ihren Unterricht und ich meinen. Es war gleichzeitig selbstverständlich für mich, zur Weihnachtszeit bei allen Ritualen mitzumachen. Ich betone selbstverständlich. Genauso selbstverständlich war es auch, den islamischen Religionsunterricht zu besuchen und zu wissen: Ich weiß um meinen Glauben und kann gleichzeitig Rituale und Bräuche eines anderen Glaubens kennen und akzeptieren. Ich darf sogar mitmachen. Was für eine Bereicherung, denke ich heute.

In der Praxis sieht diese Bereicherung so aus: In der 7. Klasse Oberstufe haben wir uns das Weihnachtsoratorium von Bach bei einer Generalprobe im Konzerthaus angehört. Ich höre mir immer wieder Teile davon an und schmelze jedes Mal dahin. Für mich steht hier die klassische Musik im Vordergrund und nicht Weihnachten. Ich habe auf meinem Handy einen Online-Koran, den ich gerne versuche zu lesen, weil mein Arabisch nicht mal einem Anfängerniveau entspricht. Manchmal höre ich mir die Rezitation einiger Verse an und bin durch den Klang der arabischen Sprache verzaubert. Natürlich kann ich das Weihnachtsoratorium mit den ersten Zeilen der Eröffnenden Sure nicht gleichsetzen, weil der religiöse Bezug einfach viel intensiver ist. Doch niemals habe ich meine Religiosität in Frage gestellt, nur weil ich manchmal das Weihnachtsoratorium höre.

Sie ist so wie ich

Vielleicht ist die Muslimin mit Kopftuch genau so wie ich? Womöglich gefällt ihr auch klassische Musik und sie kennt bestimmt Kling Glöckchen Klingelingeling, kling Glöckchen kling. Warum sollte sie nicht auch, genau so wie ich, einen Kinderpunsch am Adventmarkt trinken dürfen?  Glaube ich etwa, nur weil sie ein Kopftuch trägt symbolisiert sie: “Ich praktiziere richtig. Nicht so wie ihr!” Doch vielleicht möchte sie sich nicht einschränken und warum auch? Sie trägt das Kopftuch aus religiösen Gründen und sie geht zum Adventmarkt, weil sie mit dabei sein will und sie Weihnachten schön findet, weil sie in einem Kindergarten war, in dem sie alle trotz ihrer Unterschiede gemeinsam Lieder gesungen und den Nikolaus mit riesigen Augen angesehen haben.
Mein Denken kommt teilweise durch meine eigene Sichtweise, aber auch durch den medialen Einfluss, dem man immer ausgesetzt ist. Aufgrund des menschlichen Verstandes, der immer dazu neigt, in Kategorien zu denken und zu pauschalisieren, ist das Kopftuch oft sehr negativ konnotiert. Mediale Berichterstattungen über die Burka, die Ungerechtigkeit und das “Frauen unterdrückende” Kopftuch sind die Lieblingssymbole für den strengen, anti-westlichen, in Folge terroristischen Islam.  Und genau deshalb wird eine Frau mit Kopftuch auf einem Adventmarkt als komisch, fremd, anders, unpassend empfunden. Sogar von einem Muslim wie mir. Irgendetwas stimmt mit unserer Welt nicht.  Oder nur mit mir nicht?

Es ist schon sehr erschreckend zu erleben, wie man die Entwicklung der eigenen Identität als selbstverständlich auffasst, aber gleichzeitig andere Menschen, die eine ähnliche Entwicklung durchleben, verurteilt oder ihre Lebensweise in Frage stellt. Dabei sind viele Menschen so wie ich und sie. Wir können von mehreren Identitäten sprechen. Von einem pluralen Zugehörigkeitsgefühl. Man fühlt sich wohl, sowohl am Weihnachtsmarkt als auch beim Gebet in der Moschee.

 

 

 

 

 

 

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