Dieses Werk gilt als Abschlusspublikation einer mehrjährigen empirischen Studie (seit 2013), die allen voran die Variationsbreite und Vielschichtigkeit der religiösen Alltagspraxis von MuslimInnen in Österreich abbildet und tiefgründige Einblicke in muslimische Lebenswirklichkeiten gewährt. Denn entgegen einer häufig anzutreffenden, starren und klischeebesetzten Vorstellung, handelt es sich bei MuslimInnen nicht um eine homogene Gruppe, die ihre Religion durchwegs in derselben Art und Weise vertreten und praktizieren würde. Demzufolge leistet dieses Werk einen Beitrag zur Versachlichung der teils überreizten öffentlichen Debatte.
Die Autoren beschäftigen sich in ihren Analysen vor allem mit der alltäglichen religiösen Umgangsweise von MuslimInnen, die kaum oder nur sehr selten Moscheen oder religiöse Einrichtungen aufsuchen. Dieser Personenkreis, der jenseits islamischer Institutionen ins Blickfeld gerückt wird, macht zwar die überwiegende Mehrheit der muslimischen Bevölkerungsgruppe aus (ca. 80 %), findet allerdings in wissenschaftlichen Untersuchungen bis dato kaum Beachtung und wird erstaunlicherweise nur selten in den Fokus öffentlicher Debatten gerückt. Dementsprechend besteht die Studie aus zwei miteinander verknüpften empirischen Erhebungen. Befragt wurden österreichweit zum einen 70 MuslimInnen mit qualitativen Leitfadeninterviews und zum anderen 650 MuslimInnen mit einem standardisierten Fragebogen. Auf der Basis eines überbordenden Datenmaterials entwickelten die Autoren eine Typologie, bei der fünf religiöse Praxisformen voneinander unterschieden werden:
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- Bewahrende Religiosität
- Pragmatische Religiosität
- Offene Religiosität
- Religiosität als kulturelle Gewohnheit
- Ungebundene Restreligiosität
- Ausschlaggebend für die Einteilung in verschiedene Gruppen sind einerseits der Grad der Religiosität, also wie religiös die Betreffenden sind, sowie andererseits die sozialen Werteorientierungen, also ob entweder liberale, weltoffene, selbstbestimmte Positionen oder ob traditionalistische, konformistische Haltungen vorherrschen. In einer detaillierten Analyse widmen die Autoren jeder Praxisform ein umfangreiches Kapitel von 60 bis 90 Seiten. Behandelt werden Selbstbilder, Identitäten, Umgangsformen mit religiösen Pflichten (Fasten, rituelles Gebet, Freitagsgebet etc), religionskonforme Alltagsgestaltungen (Halal-Gebot, Umgang mit Kleidungsvorschriften, Familienbilder, Erziehungsvorstellungen) sowie Zukunftsperspektiven in Österreich und Haltungen zum Thema Politik, Staat und Religion.Das Besondere an diesem Buch, merkt Jonas Kolb an, sei die breite Darstellung der Mannigfaltigkeit und Diversität der verschiedenen muslimischen Alltagswirklichkeiten und Lebensrealitäten. Dabei würden die Analysen nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg erfolgen, sondern ließen diese ausführlich und unterhaltsam zu Wort kommen. Sie würden selbst in detaillierter und nachdrücklicher Art und Weise ihre Umgangsformen mit Religion im Alltag beschreiben, so der Autor.
Ein Interview mit Jonas Kolb über diese Forschungsarbeit folgt demnächst auf CEAI!