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Im Ramadan wird dir bewusst, dass der grenzenlose Zugang zu Nahrungsmitteln ein Privileg ist

Wenn ich als Kind an den Ramadan dachte, so sah ich in diesem lediglich eine Zeit, in der tagsüber weder gegessen noch getrunken werden durfte. Eine Belastung für MuslimInnen, dachte ich damals. Eine Praktik, die ich weder nachvollziehen konnte, noch irgendwann auf mich selbst anzuwenden gedachte. Mittlerweile, um einige Jahre älter und gefestigter in meinem Glauben, habe ich eine ganz andere Sicht in Bezug auf diese Zeit entwickelt. Ich sehe den Ramadan als Chance für gläubige MuslimInnen, sich eine spirituelle Auszeit zu nehmen und dem eigenen Körper, viel mehr dem Geist, die Gelegenheit zur Reinigung und Entgiftung zu geben.

Der Ramadan ermöglicht eine temporäre Flucht aus der schnelllebigen, konsumorientierten Gesellschaft.

Der segensreichste Monat im islamischen Kalender, der seine besondere Stellung durch den engen Bezug zur Offenbarung des Korans erhält, ermöglicht uns MuslimInnen eine temporäre Flucht aus jener schnelllebigen, konsumorientierten Gesellschaft, in der wir nicht nur leben, sondern derer wir unweigerlich Teil geworden sind.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion, die durch freiwillige zusätzliche Gebete und Koranrezitationen unterhoben wird, ist zu keiner Zeit im Jahr intensiver. Die Stärkung der eigenen Gottesfurcht bzw dem Gottesbewusstsein, der Taqwa, ist hierbei das Ziel, um das wir uns während des Heiligen Monats bemühen.

Während des Fastenmonats werden wir in Geduld, Enthaltsamkeit und Mäßigung getestet. Das rituelle Fasten bildet hierbei den Rahmen. Jenes Hungergefühl, das wir während des Tages verspüren und die Abstinenz von ablenkenden Handlungen, wie sexuelle Beziehungen oder Rauchen während des Fastenzustandes, sensibilisieren uns gegenüber den Befehlen Allahs (swt), deren Einhaltung und Ausführung im Ramadan in besonderem Maße belohnt werden. Der gereinigte Zustand, in dem wir uns befinden, stärkt unser religiöses Bewusstsein in außergewöhnlicher Weise. Wir fühlen uns Gott näher denn je.

Für Millionen Menschen ist der Verzicht auf das Essentiellste ein permanenter Zustand.

Neben der Taqwa kräftigt das Fasten auch unsere Empathie. Plötzlich spüren wir am eigenen Körper, wie sich Hunger tatsächlich anfühlt. Wie es sich anfühlt, den knurrenden Magen nicht sättigen zu können. Wie es sich anfühlt, wenn die Kehle immer trockener wird und der Durst nicht gestillt werden kann. Zumindest für eine festgesetzte Zeit. Denn während des Iftars, dem Fastenbrechen am Abend, sollten wir uns, in Anbetracht der vorherigen Stunden, stets vor Augen halten, dass der nahezu grenzenlose Zugang zu Nahrung ein gewaltiges Privileg ist. Vor Augen halten, dass für Millionen Menschen der Verzicht auf das Essentiellste nicht mit Sonnenuntergang endet, sondern zu einem permanenten Zustand geworden ist.

Der verbindende Charakter des Ramadans bezieht sich allerdings nicht nur auf die eigene Beziehung zu Gott, sondern auch auf die Beziehung zu unseren Mitmenschen. Durch gemeinsame Abendessen, Moscheebesuche und das Almosenspenden intensivieren wir unser Gemeinschaftsgefühl. Finden wir an anderen Tagen keine Zeit, Freunde und Familie zu besuchen oder sie zu uns einzuladen, so schaffen wir uns während des Fastenmonats die Zeit.

Ramadan bedeutet nicht nur Fasten mit Magen, Augen, Ohren und Händen, sondern auch mit der Zunge.

Um während des Tages, der sich in diesem Jahr auf bis zu 18 Stunden ausdehnt, in Form zu bleiben, muss mit den eigenen Kräften bedacht gehaushaltet werden. Negative Gedanken und Handlungen kosten mehr Energie als positive, Hochmut und Egoismus sind beschwerlicher als Demut und Bescheidenheit. Besonders in dieser spirituellen und segensreichen Zeit achten wir auf die Vermeidung von Streit und beleidigenden Worten. So beinhaltet die Definition des rituellen Fastens nicht nur das Fasten mit Magen, Augen, Ohren und Händen, sondern auch das Fasten mit der Zunge.

In der Bedeutung des Ramadans steckt viel mehr als nur der Entzug von Nahrung von der Morgen- bis zur Abenddämmerung. Ramadan ist eine spirituelle Zeit der Besinnung und Veränderung. Die Veränderung ist allgegenwärtig spürbar.

Man verändert sich zum Besseren.

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