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Islamischer Feminismus – ein Paradoxon?

In den öffentlichen Debatten über den Islam wird immer wieder Bezug genommen auf die Schlechterstellung der Frau in einer islamisch geprägten Gesellschaft.

Themen wie Polygynie, Ehrenmord, häusliche Gewalt, oder Zwangsheirat und allen voran das Kopftuch polarisieren und werden in Zusammenschau mit Qur’anvers 4,34 oftmals als Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung des Bildes der unterdrückten muslimischen Frau herangezogen. Debattiert wird dabei über die Köpfe von muslimischen Frauen hinweg, ohne auf die jeweilige tatsächliche sozio-kulturelle Realität Bezug zu nehmen. Denn Muslima, egal ob nun mit Kopftuch oder ohne, vom liberalen bis hin zum islamistischen Spektrum, sind aktive Mitglieder ihrer jeweiligen Gesellschaft und setzen sich seit Jahrzehnten aus den unterschiedlichsten Perspektiven mit Genderaspekten in ihrer Religion auseinander. Der inner-muslimische Feminismus ist folglich geprägt von einem starken Meinungspluralismus hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Es gilt aber, die Bedeutung des Terminus Feminismus in der islamischen Welt keinesfalls mit jenem nach westlichem Verständnis gleichzusetzen. Zwar zielen beide Feminismen darauf ab, institutionalisierte, patriarchale Strukturen aufzubrechen; hinsichtlich des jeweils zugrundeliegenden Weltbildes und der Methoden unterscheiden sich beide Strömungen aber deutlich.

Sieht der Feminismus liberal-westlicher Prägung die Trennung von Religion, Politik und Staat als Voraussetzung für eine gendergerechte Gesellschaft an, so ist vor allem die Religion Ausgangspunkt für muslimische Frauenbewegungen. Feministinnen westlicher Prägung sind davon überzeugt, dass sie durch die westliche Zivilisation und den westlichen „Weg“ Frauen auf der ganzen Welt befreien können. Zwar sollte Frauen in anderen Ländern und Erdteilen die Idee von Demokratie und Menschenrechten nähergebracht werden. Dies allerdings nur unter der Bedingung, dass diese sich dem Vorbild westlicher Feministinnen angleichen. Dabei wird vollständig auf den spezifischen kulturellen, sozialen und religiösen Kontext der „zu befreienden“ Frauen vergessen. Ein Austausch auf Augenhöhe findet aufgrund von Machtasymmetrien nur zögerlich statt. Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass der islamische Feminismus teilweise die Übernahme westlicher Konzeptionen und Standards hinsichtlich der Stellung und der Rechte von Frauen in der Gesellschaft ablehnt. Stattdessen bezieht sich der Großteil der islamisch-feministischen Bewegungen auf die religiöse Tradition, aus der heraus es gilt, Gendergerechtigkeit abzuleiten.

Muslimische Feministinnen stellen vor allem auf den ethischen Egalitarismus des Islam ab, da gemäß dem Qurʾān Männer und Frauen vor Gott gleichberechtigt sind. Sie sehen die weit verbreitete Diskriminierung der muslimischen Frau in der jahrhundertelangen männlichen Deutungshoheit über Qurʾan und Sunna begründet. Denn die meisten frauenfeindlichen, mit dem Islam assoziierten Ansichten und Praktiken gab es bereits in vorislamischer Zeit. Sie haben keine Basis im Qurʾan und wurden vor allem durch die Arbeit frühester, oftmals aus anderen Kulturen konvertierter, männlicher Qurʾanexegeten fest in der islamischen Tradition und auch im islamischen Recht verankert. Daher versuchen muslimische Feministinnen, das männliche Interpretationsmonopol aufzubrechen und jenen, für die untergeordnete Rolle der Frau zentralen, islamrechtlichen Konzeptionen und Traditionen eine gendergerechtere Bedeutung zu geben. Mittels historisch-kritischer Hermeneutik, grammatikalischer Analyse und intratextueller Methodik, sowie durch Bezugnahme auf die Biographien und Lebensgeschichten des Propheten Muḥammad, auf seine Gefährtinnen, sowie auf die Primär- und Sekundärquellen der Religion, wird mittels “Idschtihad” (eigenständige Urteilsbemühung) eine Neuinterpretation im Lichte der religiösen Fundamentalprinzipien wie Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Solidarität und Liebe angestrebt.

Gerade dieser Rückgriff auf das identitätsstiftende Merkmal Religion kann als Stärke des islamischen Feminismus begriffen werden. Zum einen ermöglicht es der Bewegung, innerhalb der islamischen Gemeinschaft Glaubwürdigkeit zu erlangen und nicht als Agenden westlicher Konzeptionen und Vorstellungen abgestempelt zu werden. Zum anderen ist dieser historisch-hermeneutische Ansatz von zentraler Bedeutung, um patriarchale Traditionen von Elementen anderer Kulturen und religiösen Dogmen zu unterscheiden. Doch das breite islamisch-feministische Spektrum trägt dazu bei, dass feministische Agenden sich oftmals diametral gegenüberstehen. Treten die einen für mehr weibliche Partizipation in der Öffentlichkeit ein, fokussieren andere auf die Rolle der Frau in der Familie. Trotzdem setzen sich MuslimInnen intensiv mit der Dichotomie von religiöser Lehre und patriarchalen Traditionen auseinandersetzen und stellen vermehrt männliche Autorität in religiösen und rechtlichen Bereichen in Frage. Familienrechtsreformen in Ländern wie Marokko oder Tunesien zeugen davon, dass dieses Bemühen durchaus auch zu kleinen Erfolgen führt. Somit kann die Rückbesinnung auf die Religion unter Einbezug weiblicher Qurʾanexegese durchaus als eine Chance für eine effektive Gleichberechtigung der Geschlechter in einem islamischen Kontext begriffen werden. Schlussfolgernd lässt sich somit festhalten, dass sich Islam und Feminismus eben gerade nicht widersprechen.

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