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Der Wasserverkäufer – Eine Parabel von Al-Ghazali (gest. 1111)

Es war einmal ein Wasserverkäufer, der mit einem Tonkrug wandernd Wasser in den Suqs (Märkten) verkaufte. Die Menschen liebten ihn, er war gepflegt und hatte eine gute Sinnesart. Eines Tages hörte der König von ihm. Er sagte zu seinem Minister: “Gehe und suche nach dem Wasserverkäufer namens Tayeb und bring ihn zu mir.” Der Minister suchte nach ihm überall in den Suqs, bis er ihn fand.

Beim König angekommen, machte dieser ihm folgendes Angebot: “Ab heute kannst du in meinem Diwan arbeiten. Du schenkst meinen Gästen Wasser ein und sitzt neben mir, um mich mit deinen schönen Anekdoten, mit denen du berühmt geworden bist, zu unterhalten.” Der Wasserverkäufer nahm das Angebot gerne an. Er kehrte zu seiner Frau und teilte ihr die gute Nachricht mit. Am nächsten Tag trug er das Schönste seiner Gewänder, machte wie immer seinen Krug sauber und ging in den Palast arbeiten. Der Diwan war voller Gäste, denen er begann, Wasser aus seinem Tonkrug einzuschenken. Wenn er mit dem Wasserschenken fertig war, setzte er sich neben den König hin und belustigte ihn mit seinen Geschichten. Am Ende des Arbeitstages bekam er seinen Lohn und ging nach Hause.

Es dauerte nicht lange bis der Minister auf ihn eifersüchtig war, weil er nun einen hohen Rang beim König erlangte. Eines Tages, als sich Tayeb am Abend auf den Weg nach Hause machte, folgte ihm der Minister und ließ ihn wissen: “Der König beschwert sich über deinen ekelhaften Mundgeruch.” Tayeb war schockiert und fragte den Minister, was er tun solle, damit er mit seinem Mundgeruch den König nicht störe. Der Minister befahl ihm ein Tuch vor seinem Mund zu tragen. Tayeb nickte mit seinem Kopf bejahend und bestätigte ihm, dass er das mache werde.

Am nächsten Morgen trug er das Mundtuch, seinen Krug und ging in den Palast. Als der König ihn mit dem Tuch vor dem Mund sah, wunderte er sich. Jedoch fragte er ihn nicht nach dem dahinter steckenden Grund. Tayeb trug das Mundtuch Tag für Tag, bis eines Tages der König den Minister fragte: “Warum trägt der Wasserverkäufer das Tuch vor seinem Mund?”

Der Minister antwortete: “Ich befürchte, Exzellenz, wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen würde, würden Sie meinen Kopf abschneiden.” Der König versicherte ihm, dass er ihm nichts Böses antun werde. So sagte der Minister: “Der Wasserverkäufer beschwert sich über den ekelhaften Geruch Ihres Mundes, Exzellenz.”

Der vor voller Wut kochende König eilte zu seiner Frau, um sich von ihr über diesen Vorfall beraten zu lassen, was er nun tun solle. Die Prinzessin reagierte entsetzt und sagte: “Wer gesagt hat, dass du einen ekelhaften Mundgeruch hast, dem muss morgen der Kopf abgeschnitten werden, so dass sich kein Mensch mehr trauen wird, dich, den König der Könige, herabzuwürdigen.” Am nächsten Tag ließ der König den Henker holen, den er befehligte: “Denjenigen, den du morgen durch das Palasttor mit einem Blumenstrauß rauskommen siehst, dem schneide den Kopf ab.”

Der Wasserverkäufer kam wie gewöhnlich morgens in den Palast und schenkte den Gästen Wasser ein. Als er die Arbeit getan hat und es Zeit war nach Hause zu gehen, schenkte ihm der König einen Blumenstrauß. Als er den Diwan verließ und bevor er das Palasttor erreichte, begegnete ihm der Minister, der ihn fragte: “Wer gab dir denn diesen Blumenstrauß?” Der Wasserverkäufer antwortete: “Der König.”

Der Minister verlangte von ihm, ihm den Blumenstrauß zu geben, weil er (der Minister) besser als er sei. Tayeb, dessen Namen übrigens “nett, freundlich, gut sein” bedeutet, gab ihm den Blumenstrauß und ging nach Hause. Als der Minister den Blumenstrauß durch das Palasttor tragend raus kam, nahm ihn der Henker fest und schnitt ihm den Kopf ab.

Am darauf folgenden Tag kam der Wasserverkäufer wie gewöhnlich mit einem Tuch vor dem Mund in den Palast und begann den Gästen im Diwan Wasser einzuschenken. Der König wunderte sich ihn zu sehen, weil er dachte, dass er tot sei. Er rief ihn und stellte ihm die Frage: “Warum trägst du dieses Mundtuch?” Tayeb antwortete: “Ihr Minister, Exzellenz, teilte mir mit, dass Sie sich über meinen ekelhaften Mundgeruch beschwerten. Er befohl mir ein Tuch vor meinem Mund zu tragen, so dass Sie sich nicht gestört fühlen.” Der König fragte weiter: “Und was ist mit dem Blumenstrauß, den ich dir gab?” Und Tayeb antwortete: “Den verlangte der Minister von mir, weil ER ihn verdiente und nicht ich, wie er  mir sagte”. Der König lächelte und sprach zum Wasserverkäufer: “Jawohl, der Minister verdiente tatsächlich den Blumenstrauß.”

Kurz gesagt zur Geschichte und wie einst der große mittelalterliche Gelehrte und Mystiker des Islam Abu Hamid al-Ghazzali (gest. 1111) sagte: “Freundschafthalten ist eine Frucht guter Sinnesart, die Entfremdung aber eine Frucht böser Sinnesart. Denn gute Sinnesart bedingt Liebe und Befreundung und Einmütigkeit; böse Sinnesart aber Hass, Neid und Verfeindung. Und wo der Baum gut ist, da muss auch die Frucht gut sein.”

(Übersetzt und überarbeitet von Driss Tabaalite)

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