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Gott auf Standby-Betrieb?

“Religion gehört in den Privatbereich!” – was es mit solchen und ähnlichen Aussagen auf sich hat, ob religiöse Menschen den Glauben zur Seite legen müssen, wenn es um Politik geht und wie es mit Österreichs Beziehung zu Religionen ausschaut erfährt ihr hier in unserem Interview mit Wolfgang Palaver.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Palaver, römisch-katholischer Theologe

CEAI: Wie sieht das Verhältnis zwischen Religion und Politik in Österreich aus?

Palaver: Österreich war über lange Zeit von einer engen Verbindung zwischen katholischer Kirche und Staat geprägt. Diese enge Verbindung wurde erst nach dem Zeiten Weltkrieg überwunden. Von katholischer Seite ist hier einerseits das Mariazeller Manifest von 1952 zu erwähnen, in dem sich die katholische Kirche Österreichs von der engen Anbindung an den Staat verabschiedete und sowohl jedes „Bündnis von Thron und Altar“ als auch jedes „Protektorat einer Partei über die Kirche“ zurückwies. Mit der Erklärung über die Religionsfreiheit setzte sich eine solche Haltung im Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 weltkirchlich durch.

Heute kann von einem kooperativen Verhältnis zwischen den sechzehn gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften und dem Staat gesprochen werden. Konkret drückt sich das darin aus, dass diese Religionsgemeinschaften beispielsweise zum konfessionellen Religionsunterricht zugelassen sind und zum Teil auch theologische Studien an staatlichen Universitäten anbieten. Dieses kooperative Modell unterscheidet sich positiv sowohl vom alten Staatskirchenmodell als auch von einem Laizismus, der Religion grundsätzlich in den Privatbereich abdrängen will. Ganz ohne Probleme ist aber das österreichische Modell nicht, denn das staatliche Verhältnis zu den verschiedenen Religionsgemeinschaften ist dreigeteilt, und räumt deshalb kleinere Gemeinschaften nicht die gleichen Rechte wie den Großen ein. Auch zeigt sich gesellschaftlich immer noch eine gewisse Vorherrschaft der christlichen Konfessionen, wenn die Debatte über religiöse Symbole in öffentlichen Einrichtungen (Kreuze in Klassenzimmern und Gerichtssälen, Kopftuchverbote) genauer beobachtet wird. Auch die kürzlich im österreichischen Parlament durchgeführte Gebetsfeier zeigt, dass noch keine reife Umsetzung der staatlichen Religionsneutralität gefunden wurde.

CEAI: Wird dieses Thema gesellschaftlich neutral angegangen?

Palaver: Von einem wirklich neutralen Umgang mit Religion sind wir in Österreich noch etwas entfernt, weil der alte Staatskatholizismus noch immer seine Schatten vorauswirft. So gibt es auf der einen Seite eine wachsende Zahl von laizistisch eingestellten Menschen, die unbedingt auf eine Privatisierung von Religion drängen, dabei aber übersehen, dass für die meisten Religionen die öffentliche Dimension zum gelebten Glauben dazu gehört.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Menschen, die sich nach der alten Vorherrschaft des Katholizismus zurücksehen, religiöse Privilegien möglichst bewahren wollen und sich gegen den religiösen und gesellschaftlichen Pluralismus mit allen Mitteln zu wehren versuchen. Die drängende Aufgabe besteht darin, Religionsfreiheit auf allen Ebenen zu verwirklichen. Das bedeutet, dass im rechtsstaatlichen Rahmen Religionsgemeinschaften auch in der Öffentlichkeit ihren Glauben leben dürfen, dass es aber auch ein Recht gibt, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Die österreichische Gesellschaft muss vor allem lernen, dass die Absage an das alte Staatskirchenmodell nicht auf eine laizistische Privatisierung von Religion hinauslaufen muss, sondern den Religionen Öffentlichkeit vor allem im Bereich der Zivilgesellschaft einzuräumen ist.

CEAI: Einige meinen: „Religion gehört in den Privatbereich“, was denken Sie darüber?

Palaver: Die Formel „Religion ist Privatsache“ drückt einen laizistischen Zugang zur Religion aus, den ich deshalb ablehne, weil er dem Selbstverständnis religiöser Menschen nicht gerecht wird. Ich möchte das an zwei Beispielen verdeutlichen, die unverdächtig sind, weil sie außerhalb der aktuell diskutierten österreichischen Religionsdebatten stehen.

Mein erstes Beispiel ist der Bund Religiöser Sozialisten Österreichs, der sich nach dem ersten Weltkrieg innerhalb der sozialdemokratischen Bewegungen zu formieren begann. Innerhalb der sozialistischen Bewegung hatte sich schon im 19. Jahrhundert die Position herauskristallisiert, Religion als bloße Privatsache zu verstehen. Der Bund Religiöser Sozialisten in Österreich stimmte in seiner Absage an den Klerikalismus und den politischen Katholizismus mit der allgemeinen sozialistischen Position überein. Doch die Formel „Religion ist Privatsache“ lehnten sie für ihre eigenes Selbstverständnis aus religiösen Gründen ab. Für sie war Religion „nicht Neben-, sondern Hauptsache“: „Es ist also Religion für uns religiöse Sozialisten keine Privatsache, die wir neben dem Sozialismus betreiben; sie ist uns Zentrum, Mittelpunkt des Lebens, auch unseres Lebens im Sozialismus.“

Eine ähnliche Einstellung finden wir bei Mahatma Gandhi, der gerade aufgrund der religiösen Vielfalt in seiner indischen Heimat für einen säkularen indischen Staat eintrat, aber daraus kein laizistisches Verhältnis zwischen Religion und Politik ableitete. So schrieb er einmal, wie wichtig für ihn trotz, seines Eintretens für einen religionsneutralen Staat, die Religion ist: „Ich könnte keine einzige Sekunde ohne Religion leben. Viele meiner politischen Freunde verzweifeln an mir, weil sie sagen, dass sogar meine Politik von der Religion abgeleitet ist. Sie haben recht. Meine Politik und alle meine anderen Aktivitäten sind von meiner Religion abgeleitet. Ich gehe noch weiter und sage, dass jede Tätigkeit eines religiösen Menschen von seiner Religion abgeleitet sein muss, weil Religion heißt, ‚an Gott gebunden zu sein‘, das heißt, dass Gott jeden Atemzug regiert.“

CEAI: Muss es für Gläubige zu einem Konflikt kommen, wenn es um „Gottes Gesetze“ und „vom Menschen gemachten Gesetze“ geht?

Palaver: Grundsätzlich muss es nicht automatisch zu einem Konflikt zwischen dem Gesetz Gottes und menschlich gemachten Gesetzen kommen. Aus christlicher Sicht gibt es zuerst eine gewisse Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber den staatlichen Autoritäten, weil sie ja für den gesellschaftlichen Frieden Verantwortung tragen. Wo aber die Menschenwürde verletzt wird oder andere grobe Ungerechtigkeiten von staatlicher Seite verursacht werden, haben göttliche Gesetze, wie sie sich beispielsweise in den fundamentalen Menschenrechten ausdrücken, Vorrang vor dem staatlichen Gesetz. In solchen Fällen kann ziviler Ungehorsam zu Pflicht werden. Wichtig ist dabei aber aus religiöser Sicht, dass die Religionsfreiheit immer beachtet bleibt. Niemand darf unter Berufung auf das göttliche Gesetz gezwungen werden.

Von Gandhis gewaltfreien Aktionen können wir lernen, dass wir mitunter Strafen auf uns nehmen müssen, wenn wir uns ungerechten Gesetzen nicht beugen, aber dass es keine Berechtigung gibt, selbst zur Gewalt zu greifen. In einer rechtsstaatlichen Demokratie sollen die Religionsgemeinschaften sich in die politischen Debatten einbringen und so an der Gesetzgebung indirekt mitwirken. Auch Minderheitspositionen sind in einer Demokratie wichtig, weil sie sich durch Überzeugungsarbeit um Mehrheiten bemühen können.

CEAI: Kann bzw. muss ein gläubiger Mensch, wenn es um Politik geht, den Glauben „abdrehen“?

Palaver: Indirekt ist diese Frage schon oben klar mit nein beantwortet. Ein gläubiger Mensch wird, wie ich das am Beispiel der religiösen Sozialisten und am Beispiel von Gandhi gezeigt habe, sein politisches Engagement gerade aus seinem Glauben heraus ableiten. Politik aus dem Glauben ist eine gute Formel für diese Haltung.

Gefährlich ist ein Glaube aber dort, wo er Menschen dazu verleitet, mittels Zwang und Gewalt andere Menschen zu einer bestimmten Position zu drängen. Damit wäre aber auch ein wichtiger Grundsatz echten Glaubens verletzt, der wissen muss, dass Gewalt gerade kein Name Gottes ist.

In ihrem „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“, haben Papst Franziskus und der Kairoer Groß-Imam Ahmad Al-Tayyeb 2019 diese Absage an religiösen Zwang und Gewalt klar zum Ausdruck gebracht: „Wir bitten, es zu unterlassen, den Namen Gottes zu benutzen, um Mord, Exil, Terrorismus und Unterdrückung zu rechtfertigen. […] Denn Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um die Menschen zu terrorisieren.“*

* Mehr über dieses Thema könnt Ihr hier lesen: https://ceai.univie.ac.at/2019/02/06/papst-franziskus-uber-menschliche-geschwisterlichkeit/

Info: Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Palaver hat im Rahmen der Gesprächsreihe „Miteinander Zukunft gestalten“ des Zentrums für Interreligiöse Studien der Universität Innsbruck einen Vortrag gehalten zur Beziehung zwischen Politik und Religion, welche man hier findet: https://youtu.be/Y0GptAXKeU4

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